Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Reich der Sieben Städte

Das Reich der Sieben Städte

Titel: Das Reich der Sieben Städte
Autoren: Steven Erikson
Vom Netzwerk:
gleiche Stadt, doch eine völlig andere Welt.
    Felisin fragte sich, ob die Wachen auf den Priester zugehen würden, während er sich den Opfern der Säuberung immer mehr näherte. Sie und die anderen in der Reihe waren jetzt die Schützlinge der Imperatrix – unterstanden der Verantwortung Laseens –, und der Weg des Priesters konnte als blind und zufällig betrachtet werden, der drohende Zusammenstoß eher ein Produkt des Zufalls denn der Absicht sein. Tief in ihrem Innern wusste Felisin jedoch, dass es anders war. Würden die behelmten Wachen vortreten und versuchen, den Priester zu einer Seite wegzuführen, ihn sicher über den Ring zu geleiten?
    »Ich glaube nicht«, sagte der Mann, der zu ihrer Rechten hockte. In seinen tief in ihren Höhlen liegenden, halb geschlossenen Augen blitzte etwas auf, das Erheiterung sein mochte. »Ich habe gesehen, wie deine Blicke hin und her gehuscht sind – von den Wachen zu dem Priester, von dem Priester zu den Wachen.«
    Der große, stumme Mann zu ihrer Linken stand langsam auf, zog die Kette dabei mit. Er verschränkte die Arme vor der nackten, narbenübersäten Brust, und Felisin zuckte zusammen, als die Fesseln schmerzhaft an ihr zerrten. Der Mann starrte den näher kommenden Priester an, sagte jedoch nichts.
    »Was will er von mir?«, fragte Felisin flüsternd.
    »Was habe ich getan, dass ein Priester des Vermummten mir seine Aufmerksamkeit schenkt?«
    Der hingekauerte Mann wiegte sich auf den Fersen, reckte dabei sein Gesicht der spätnachmittäglichen Sonne entgegen. »Oh, Königin der Träume, spricht hier etwa die ichbezogene Jugend aus den Worten, die über diese vollen, süßen Lippen kommen? Oder ist es nur die übliche Anmaßung des Adels, um den die ganze Welt sich dreht? Oh, ich bitte dich, antworte, wankelmütige Königin!«
    Felisin machte ein finsteres Gesicht. »Ich habe mich besser gefühlt, als ich noch geglaubt habe, du würdest schlafen – oder du wärst tot.«
    »Tote hocken nicht da, Mädel, sie liegen lang ausgestreckt auf dem Boden. Und der Priester des Vermummten kommt nicht deinetwegen. Er kommt meinetwegen.«
    Sie starrte ihn an; die Kette zwischen ihnen rasselte. Er sah mehr wie eine Kröte mit tief in den Höhlen liegenden Augen denn wie ein Mann aus. Er war kahlköpfig, und sein Gesicht war von einer Tätowierung bedeckt, winzige schwarze rechteckige Symbole, die in einem alles überlagernden Muster verborgen waren, das seine Haut wie eine zerknitterte Schriftrolle überzog. Abgesehen von einem zerlumpten Lendenschurz, dessen ursprüngliche rote Farbe fast völlig verblasst war, war er nackt. Fliegen krabbelten überall auf ihm herum. Sie weigerten sich zu verschwinden, tanzten auf und ab – jedoch nicht, wie Felisin bemerkte, zur freudlosen Musik des Vermummten. Die Tätowierung bedeckte den Mann von Kopf bis Fuß – das Gesicht des Ebers überlagerte sein eigenes Antlitz, das komplizierte Geflecht eines aus unzähligen feinen Schriftzeichen bestehenden, lockigen Fells zog sich über seine Arme, seine bloßen Ober – und Unterschenkel, und in die Haut seiner Füße waren fein herausgearbeitete Hufe geritzt. Bisher war Felisin zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, noch zu sehr vom Schock betäubt, um die, die mit ihr angekettet waren, weiter zu beachten; dieser Mann war ein Priester von Fener, dem Eber des Sommers, und die Fliegen schienen das zu wissen, schienen es hinlänglich zu verstehen, um ihr hektisches Schwirren zu verändern. Mit morbider Faszination sah sie zu, wie die Tiere sich um die Stümpfe sammelten, in denen seine Arme direkt an den Handgelenken endeten; das alte Narbengewebe war das Einzige an ihm, das nicht von Fener beansprucht wurde, doch die Pfade, die die Schemen zu den Stümpfen nahmen, berührten nicht eine einzige Linie der Tätowierung. Die Fliegen tanzten einen Tanz des Vermeidens – doch sie waren trotz allem wild darauf, zu tanzen.
    Der Fener-Priester war als letzter Mann der Reihe an seinen Fußknöcheln angekettet worden. Bei allen anderen lagen die engen eisernen Fesseln um die Handgelenke. Die Füße des Mannes waren blutig, und die Fliegen wogten über ihnen auf und ab, ließen sich  jedoch nicht nieder. Sie sah, wie er die Augen aufriss, als plötzlich ein Schatten auf ihn fiel.
    Der Priester des Vermummten war angekommen. Die Kette spannte sich, als der Mann zur Linken Felisins so weit zurückwich, wie es die Kette erlaubte. Die Mauer in ihrem Rücken war heiß, die mit festlichen Szenen aus
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher