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Das Regenmaedchen

Das Regenmaedchen

Titel: Das Regenmaedchen
Autoren: Gabi Kreslehner
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irgendwelchen
Biergärten, futterten Pizzen und Salate. Irgendwo da hinten rauschte die
Autobahn.
    Sie wussten immer noch nicht, wer das Mädchen war, wie sie
hieß. Auf den Fotos der Vermisstenkartei war sie nicht zu finden.
    Wahrscheinlich lag ihre Tasche mit den Papieren noch immer
im Auto des Unbekannten, da, wo sie sie achtlos hingeworfen hatte, nachdem sie
eingestiegen war, um in die Nacht aufzubrechen. Vielleicht hatte sie auch gar
keine Papiere dabeigehabt, nur ein winziges Täschchen mit ein bisschen
Schminkzeug drin, da passten keine Papiere mehr hinein. Wozu brauchte man auch
Papiere, wenn man tanzen ging und feiern? Wozu brauchte man überhaupt Papiere im
Angesicht des Todes?
    Im Übrigen schien es niemanden zu geben, der nach dem
Mädchen suchte. Keine einzige Meldung war eingegangen. Zwar war die
obligatorische Zeitspanne des Wartens noch nicht vorüber, aber die Leute kamen
in der Regel früher, die Angst ließ nicht zu, dass sie sich lange geduldeten.
    Arthur und Robert, die jungen Kollegen, hatten per
Computer nachgeforscht, ob auf irgendeinem anderen Polizeirevier der Stadt oder
der Umgebung die Meldung eingegangen war, dass ein Mädchen, auf welches die
Beschreibung passte, nachts nicht heimgekommen sei und auch nicht am Morgen.
Aber nichts. Gar nichts.
    Eigenartig, dachte Franza. Keiner vermisste dieses
Mädchen, sollte sie niemandem sonst angehört haben als ihrem Mörder?
    Franza dachte an den Unbekannten als an einen Mörder, obwohl sie
sich nicht sicher war, ob das in diesem Falle juristisch zulässig war. Es war
nicht gemordet worden, nicht im eigentlichen Sinne, nicht so, dass die Tat
unbedingt als Mord geahndet werden würde.
    Körperverletzung mit Todesfolge, unterlassene
Hilfeleistung - als das würde der Fall vermutlich verhandelt werden, wenn er
vor Gericht kam. Außer es gelang ihnen, dem vorerst noch Unbekannten die
Absicht nachzuweisen, ihn dazu zu bewegen, die Absicht zuzugeben. Aber das war
im Augenblick ihr geringstes Problem, zuerst mussten sie ihn finden.
    »Wir kriegen ihn«, sagte Herz, als spüre er ihre Unruhe.
    Sie lächelte dankbar. »Ja, nicht wahr?«
    Sie waren ein gut eingespieltes Team, sie waren zäh und
verfügten über den nötigen Zorn, der ihnen diese Zähigkeit immer wieder
bescherte. Morgen würde ihr erster Weg sie in den Sektionsraum des
Krankenhauses führen. Der Rechtsmediziner würde das Sterben des Mädchens
minutiös rekapituliert haben und ihnen, Franza und Herz, feinsäuberlich und
gemächlich, wie es seine Art war, auseinandersetzen. Auch die Spurensicherer
würden erste Spuren ausgewertet haben, und akribisch würden Franza und Herz all
diese Spuren verfolgen. Bis zu einem Ende.
    »Die Sommerferien fangen bald an«, sagte Felix und
schüttelte den Kopf. »Die Zeit rast dahin, das ist unglaublich.«
    Franza nickte zerstreut, dachte, dass sie das schon oft
von ihm gehört hatte, und musste lächeln, weil sie sein Staunen über die sich
scheinbar beschleunigende Vergänglichkeit der Zeit immer wieder rührend fand.
    »Glaubst du, dass es noch heißer wird?«, fragte Felix.
»Ich weiß ja, dass du die Hitze nicht besonders magst, aber ... Für die Kinder
wär's schön.« Franza zuckte die Schultern, träumte sich fort. Nach Lappland
oder ins Polarmeer. Dort gab es Lichter. Irisierende. Weit draußen im Eis.
Irrlichter. Die weiße Kränze um sich hatten. Die zischten und sprühten. Wie
Spritzkerzen. Nur leuchtender. Und gefährlicher. Es waren Verschwindlichter.
Wenn man darauf zuging, verschwand man. Als hätte es einen nie gegeben. Das wollte
Franza manchmal. Verschwinden. An Tagen wie diesem. Für Augenblicke nur. In die
Verschwindlichter hinein und fort.
    »Möchtest du frische Mandelkekse?«, fragte sie und holte
die Tupper-Box aus ihrer Tasche. »Und meine berühmten Baisers? Ich hab genug für
uns beide.« Er lachte und schüttelte den Kopf. »Nicht zu fassen! Hast du wieder
gebacken?« Sie stopften sich voll, es war süß im Mund und warm. Das Mädchen von
der Autobahn hatte es kalt.
     
    »Ich bin schon an so vielen Orten gewesen«, sagte sie. »Und
immer ist es anders, als du glaubst. Nie ist es so, wie du 's erhofft hast.«
Ben wagte nicht, sich zu bewegen, aus Angst, ihre Berührung löse sich ins
Nichts und sei dann gar nicht wahr gewesen.
    »Du traust dich nicht«, sagte sie und lächelte. »Du traust
dich nicht abzuhauen. Einfach loszuspringen, ohne Netz.«
    Er wusste nicht, was er sagen sollte. Ihr Haar fiel über
sein Gesicht, roch nach
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