Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Regenmaedchen

Das Regenmaedchen

Titel: Das Regenmaedchen
Autoren: Gabi Kreslehner
Vom Netzwerk:
vorne ein Auto stand auf dem
Pannenstreifen. Und plötzlich ist es los. Wie von der Tarantel gestochen. Mit
aufheulendem Motor. Es war, hat sie gesagt, als wolle jemand eine Flucht
antreten. Das ist ihr sehr merkwürdig vorgekommen, darum hat sie es zuerst
ihrem Mann erzählt und dann mir. Was sagst du dazu?«
    Franza schüttelte den Kopf. Sie hatte schon so viel
gesehen in ihrem Beruf, so viel gehört und erlebt. Trotzdem gewöhnte sie sich
nicht daran. Er hatte also gewartet, hatte wissen wollen, was passierte. Hatte
sichergehen wollen, dass sie auf die Fahrbahn geriet und starb. »Automarke?
Autonummer?«
    Felix schüttelte den Kopf. »Nein. Nichts. Es war ja noch
fast dunkel. Und es ging viel zu schnell.«
    Franza seufzte. »Schade!«
    Felix hob den Zeigefinger und grinste triumphierend.
»Warte«, sagte er, »warte doch ein bisschen. Wir sind vorgegangen zu dieser
Stelle, Frau Franke und ich. Sie war mal Sprinterin, sie konnte die Entfernung
ganz gut bestimmen. Und jetzt rate mal, was ich gefunden habe.«
    Er machte eine Pause, Franza starrte ihn ausdruckslos an.
Autos zischten vorbei, hinauf Richtung Norden, nach Nürnberg oder Potsdam oder
Berlin. »Zigarettenstummel«, sagte er. »Mehrere. Manche waren gar nicht
angeraucht, nur abgeknickt. Da muss einer nervös gewesen sein. Borger wird sie
mit den Stummeln vergleichen, die um den Tisch herum gefunden worden sind. Wenn
es eine Übereinstimmung gibt, dann haben wir wohl die DNA unseres Mannes. Und
ich wette, es gibt eine Übereinstimmung.«
    Franza wiegte den Kopf hin und her. »Dann müssen wir ihn
nur noch finden.« Herz nickte. »Zweifelst du etwa daran?«
    »Nein. Natürlich nicht.« Franza wandte sich zum Gehen.
»Lass uns zurückfahren. Ich bin schon nass genug, und ich wachse ja sowieso
nicht mehr.«
    Während sie zum Auto gingen, kam die Nachdenklichkeit
zurück. »Wenn sie die andere Richtung gewählt hätte? Wenn sie in den Wald
gelaufen wäre?« Felix schüttelte den Kopf. »Dann hätte er sich etwas anderes
einfallen lassen.« Stille. Es war alles gesagt. So konnte es gewesen sein. Die
Traurigkeit war da, wie jedes Mal. Und die Augen des Mädchens. Braun.
Haselnüsse. Ihr verklebtes Haar. Ihr immerwährendes Schweigen.
     
    »Meine Frau ist wieder schwanger«, sagte Herz.
    »Wow!«, sagte Franza. »Ist das alles?«, fragte Herz.
    Franza grinste. »Naja«, sagte sie, »solange man's tut,
muss man damit rechnen.« Herz schnappte nach Luft.
    »Nein«, sagte sie, beugte sich vor und klopfte ihm auf die
Schulter. »Blöder Scherz. Schön für euch. Gratulation. Absicht?«
    Herz wippte nachdenklich in seinem Sessel hin und her.
»Ich weiß nicht recht, ich glaube schon. Du kennst doch Angelika.«
    Ja, Franza kannte Angelika Herz. Eine Frau, die fest im
Leben stand und nun also ihr viertes Kind erwartete.
    »Und unsere Älteste hat Essprobleme«, sagte Herz.
»Marlene. Seit sie vierzehn geworden ist, isst sie fast nichts mehr. Angelika
sagt, das ist meine Schuld. Weil ich diesen Scheißjob habe.«
    Franza nickte und legte ihm die Hand auf die Schulter.
    »Glaubst du das auch?«, fragte er.
    »Was?«
    »Dass es meine Schuld ist.«
    Sie schüttelte den Kopf und drückte Herz ein bisschen.
»Ach, Felix, mein Herz«, sagte sie. »Das ist doch Quatsch. Mit vierzehn essen
sie halt nichts, weil sie nichts essen.«
    »Ja, nicht wahr?«
    Franza nickte und drückte den Kollegen ein bisschen
fester.
    »Sie hat es mir heute Morgen gesagt, das mit dem Baby«,
sagte er. »Dann kam der Anruf wegen dieses Mädchens, und ich musste los. Wenn
ich heimkomme, will sie es den Kindern erzählen und feiern. Aber ich weiß
nicht, ob mir danach zumute ist.«
    Er schwieg eine Weile. »Ich weiß auch gar nicht, ob mir
nach einem vierten Kind zumute ist.«
    Franza nickte. »Wird es finanziell ein Problem?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, du kennst doch meine
Schwiegereltern mit der Firma. Die wirft ziemlich viel Geld ab, und Angelika
ist ihr einziges Kind. Man könnte also durchaus sagen, dass wir eines Tages
wohlhabend sein werden. Auch unser Haus ist groß genug. Angelika hat das alles
ja geplant. Aber ich ...« Er stand auf und ging zum Fenster. »Ich komme mir vor
wie ein Zuchthengst«, sagte er leise, fast ein wenig beschämt. »Sie fragt mich
nicht.« Sie standen nebeneinander und schauten hinaus. Ihre Blicke brachen sich
am Haus gegenüber. Draußen der späte Juniabend, die Luft mild nach dem Regen,
ein bisschen dunstig. Die anderen waren schon weg. Saßen in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher