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Das Regenmaedchen

Das Regenmaedchen

Titel: Das Regenmaedchen
Autoren: Gabi Kreslehner
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Mittag,
Franza verspürte Hunger.
    Sie standen vor einer hölzernen Sitzgruppe, die aus einem
länglichen Tisch und zwei Bänken bestand. Darüber war ein baldachinartiges
Gerüst aufgebaut, gedeckt mit Schindeln wie ein richtiges Dach, das sich auf
zwei Seiten fast bis zum Boden zog, so dass man darunter vor Wind und Wetter
geschützt war. Am Rande der Anordnung, aber noch unterhalb des Daches, lag eine
Ansammlung großer, kantiger Steine, die zum Teil mit Moos bedeckt waren.
Daneben wuchsen Farne und niedrige Rosensträucher, übersät mit Blüten.
    An den Kanten der Steine hatten sie die Blutspuren
gefunden, von denen sie annahmen, dass sie von der Toten stammten. Die
Untersuchung in der Gerichtsmedizin würde das rasch bestätigen, Formsache,
davon waren Franza und Herz überzeugt. Nicht umsonst hatten sie auch einen der
fehlenden Schuhe hier gefunden, unter dem Tisch hatte er gelegen, eine
hochhackige, mit Strasssteinchen besetzte Riemchensandale, passend zum Silberkleid.
    Um den Tisch und die Bänke herum lagen Zigarettenstummel,
Glasscherben und andere Abfälle, was kein Wunder war bei dem Betrieb, der hier
tagsüber und, wie sie nun wussten, auch nachts herrschte.
    Schuhe, Abfall, Glasscherben und Zigarettenstummel waren
von der Spurensicherung mitgenommen worden. Sie würden auf verwertbare Spuren
untersucht werden, viele Stunden Arbeit, von der man im Vorfeld nie wusste, ob
sie überhaupt etwas bringen würde. Aber so war das eben. Ein Puzzlespiel,
langsam würden die Teile sich ineinanderfügen, langsam würde ein Bild
entstehen.
     
    Herz stellte seinen rechten Fuß auf die Sitzfläche einer
der beiden Bänke, stützte seinen Arm auf das Knie und überlegte laut vor sich
hin. »Also, was haben wir? Ein Mädchen stolpert heute, Dienstag, gegen fünf Uhr
morgens in völlig aufgelöstem Zustand auf die Fahrbahn, wird niedergestoßen und
getötet. Möglicherweise ist sie alkoholisiert, wahrscheinlicher aber bereits im
Vorfeld schwer verletzt. Nicht umsonst haben wir hier das Blut gefunden. Sie
trägt ein Abendkleid und ist barfuß. Einen ihrer Schuhe finden wir hier auf dem
Rastplatz.«
    Den anderen hatten sie auf Höhe der Unfallstelle gefunden,
neben dem Pannenstreifen im Gras vor den Gebüschen. Da war das Gras zum Teil
niedergedrückt, als hätte jemand einige Zeit dort gelegen, die Halme hatten
sich noch nicht wieder vollständig aufgerichtet. Außerdem waren Reifenspuren
dort zu sehen. Jemand musste mit seinem Auto quer vom Pannenstreifen ins Gras
gerutscht sein, wahrscheinlich zu rasch gefahren, zu rasch gebremst, den Regen
nicht mitbedacht und dass der einen ins Rutschen bringen konnte. Die Kollegen
von der SPUSI hatten eine Art Zelt errichtet, um die Spuren, die noch nicht
gänzlich vom Regen zerstört worden waren, zu sichern. Allerdings gab es nicht
viel Hoffnung auf einen brauchbaren Reifenabdruck. Felix deutete auf den Tisch,
schwieg einen Augenblick, fuhr schließlich fort: »Was sagt uns das alles hier?«
    Franza zuckte die Schultern. »Dass sie von einer Feier
kam, von einem Fest. Geburtstag. Studienabschluss. Taufe. Verlobung. Hochzeit.
So was in der Art.«
    »Wie kam sie hierher?«
    »Offenbar nicht im eigenen Auto. Das hätten wir ja sonst
gefunden.«
    »Also ist sie bei jemandem mitgefahren. Die Frage ist, bei
wem? Und wohin?«
    »Auf alle Fälle ist sie hier gelandet. Auf diesem
Rastplatz. Merkwürdiger Ort.« Sie schwiegen. Dann begann das Pingpong-Spiel
aufs Neue. »Ein Liebespaar?«
    »Wer hält sonst auf einem Autobahnrastplatz mitten in der
Nacht?«
    »Ja.  Wer  sonst?«  Er kratzte  sich  am Kinn.  »Aber fandest
du ein Schäferstündchen hier mitten in der Nacht gemütlich?«
    Sie zuckte die Schultern. »Wenn die Liebe so groß ist, wer
weiß. Auf der anderen Seite - vielleicht ist es auch ganz einfach. Vielleicht
musste jemand auf die Toilette.«
    »Aber sie sind hier am Tisch gewesen. Die Toiletten sind
da drüben, also ziemlich weit weg.«
    Wieder Schweigen. Sie sammelten ihre Gedanken. Die Augen
des Mädchens kamen ihnen in den Sinn. Franza fing sich zuerst. »Was hat es mit
den Schuhen auf sich? Warum lag hier nur einer?« Herz zuckte die Schultern.
    »Sie wird ihn beim Kampf verloren haben. Oder was immer
das war. Und er hat es nicht bemerkt. Weil er in Panik geriet.«
    Erneutes Schweigen. Sie sahen die Bilder. Wie sie gefallen
sein musste. Wie ihr Kopf an den Stein schlug. Wie sie dann lag.
    Es begann wieder zu regnen. Franza schloss die Augen, sog
tief die Luft ein.
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