Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Regenmaedchen

Das Regenmaedchen

Titel: Das Regenmaedchen
Autoren: Gabi Kreslehner
Vom Netzwerk:
Dorf, und Judith wollte aussteigen. »Danke«,
sagte sie. "Ich möchte ein paar Schritte zu Fuß gehen.«
    Franza nickte und fuhr an den Straßenrand. Das Dorf wirkte
wie ausgestorben, ein Blick auf die Uhr zeigte, dass es halb zwei war. »Etwas«,
sagte Franza, »würde ich gerne noch wissen.«
    »Ja?«, fragte Judith und schaute auf den dunklen
Dorfplatz. »Was denn?«
    »Die anonyme Anruferin damals«, sagte Franza, »das waren
Sie, oder?« Judith nickte. »Ja«, sagte sie. »Natürlich. Das war ich.«
    Sie hatte die Tür schon geöffnet, ein frischer Luftzug kam
herein und vom Wind verwehte Regentropfen, sie fröstelten beide.
    »Soll ich Sie nicht doch nach Hause fahren«, fragte
Franza. »Es regnet.«
    »Nein«, sagte Judith, »die frische Luft wird mir guttun«,
und blieb sitzen, als warte sie auf die nächste Frage. Ja, dachte Franza, dann
frag ich dich jetzt. Sie räusperte sich.
    »Warum sind Sie nicht zur Polizei gegangen? Warum haben
Sie ihn nicht angezeigt? Hatten Sie Angst vor den Konsequenzen, weil Sie mit im
Auto saßen?«
    »Angst vor den Konsequenzen?«, wiederholte Judith
nachdenklich und schüttelte dann den Kopf. »Für mich hätte es keine
Konsequenzen gegeben. Keine strafrechtlichen. Er hat mich ins Auto zurückgezwungen,
er hat wie ein Verrückter auf mich eingeschlagen. Jeder Arzt hätte das
nachweisen und bestätigen können.«
    »Aber dann«, begann Franza, »versteh ich nicht...«
    Judith ließ die Tür wieder ins Schloss fallen, schwieg,
schien über die Antwort nachzudenken. Der Regen trommelte auf das Autodach, war
lauter geworden, machte das Auto zu einer schützenden Höhle. Hoffentlich
beginnt es nicht zu hageln, dachte Franza, während sie auf die Antwort wartete,
und schaute sorgenvoll hinaus und in die Höhe, wenn es zu hageln beginnt, ist
mein Auto im Arsch.
    »Ich war schwanger«, sagte Judith.
     
    »Es war ganz frisch«, sagte Judith. »Ich wusste es erst
seit ein paar Tagen.«
    Franza schloss die Augen, spürte, dass die Stille kam, mit
dem Schweigen die Stille. Der Regen, dachte es irgendwo in ihrem Kopf, während
sie den Sätzen nachsann, die in der Stille standen wie gemeißelt, als Relief
der Trauer, als Relief der Dunkelheit, der Regen hat aufgehört, sie ist
schwanger gewesen, heute wohl kein Hagel mehr, sie hat dieses Kind erwartet.
    »Hätte ich ihn da anzeigen sollen?«, fuhr Judith fort und
hatte eine Trostlosigkeit in der Stimme und ein Zerbrechen, das allumfassend
war, und Franza wusste, es würde keinen Trost mehr geben, nichts. »Hätte ich?
Den ich geliebt habe. Bis zu diesem Augenblick. Bis alles zerbrochen ist."
Wieder Schweigen. Und Stille. Kein Hagel. »Ja, heute ...«, sagte sie, »heute
... weiß ich ...«
    Sie schüttelte den Kopf. »Dann«, sagte sie, »dann ist es
immer zu spät.«
    Ihre Hand legte sich auf Franzas Arm. »Wir begraben sie am
Dienstag«, sagte sie. »Wirst du kommen?«
    Es war so still, so still. Im Auto und überhaupt. Das kann
nicht sein, dachte Franza, das nicht. Langsam drehte sie ihren Kopf, öffnete
den Mund, musste sich räuspern, weil ihre Kehle klebte. »Nein«, sagte Judith.
»Nein. Frag mich das nicht.«
    Dann stieg sie aus, ging die Straße entlang. Die Häuser
rückten zusammen, nahmen sie in die Mitte. Auf der Straße Wasserlachen. Sorgfaltig ging sie an ihnen
vorbei.
    Franza stieg aus, lehnte sich ans Auto, atmete tief durch,
unterdrückte ein Zittern, ein Weinen. Es roch frisch. Wie sie das liebte. Nach
mehr Luft, nach Regen. Am Dienstag also. Wieder ein Dienstag. »Ich werde
kommen«, flüsterte sie. »Natürlich werde ich kommen.«
    Am Himmel stand der halbe Mond in den Wolken, ein leichtes
Singen wehte eine Stimme von weit her. Klar. Hoch. Nur ein Ton.
     
    Gegen sechs schreckte Franza aus einem Traum. Reuter hatte
ihr im Verhörraum gegenübergesessen, die Lampe hatte Löcher in seine Augen
gebrannt, an einem Fenster schlierten Bäume vorbei in raschen Strichen. »Ich
wollte sie nicht töten«, hatte er gesagt und sie angelächelt. »Das müssen Sie
mir glauben, Frau Kommissarin.«
    Wieder war sie fasziniert gewesen, als die Sonne sich in seinen
Haaren fing, funkelnde Glimmerpunkte, die zu Flammen wurden, aber Reuter
verbrannte nicht, immer noch lächelte er sie an, ihre Augen aber blitzten ihm
kühl entgegen.
    »Sie meinen, Sie wollten das nicht selbst erledigen.«
    Er dachte lange nach. »Ja«, sagte er dann. »So könnte man
das sagen.«
    Erneut wischten die Bäume vorbei, langsamer diesmal, sie
konnte Erlen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher