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Das Raetsel von Flatey

Das Raetsel von Flatey

Titel: Das Raetsel von Flatey
Autoren: Viktor Arnar Ingólfsson
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Dienste«, antwortete
Grímur.
    Der Küster hob sich auf die
Zehenspitzen und sagte: »Ja, mein Handwagen wird immer bei
Beerdigungen hier in Flatey verwendet.«
    »Na schön«, sagte
Kjartan. »Vielen Dank, dass du daran gedacht
hast.«
    Grímur wurde langsam
ungeduldig und sagte: »Meine Imba hat das Essen bereit. Wir
wollen sie nicht warten lassen.«
    Mit Kormákur Kolk an der
Spitze zogen sie durch das Örtchen. Den Spazierstock hatte er
wie ein Gewehr geschultert, und die andere Hand schwenkte er im
Takt zu seinem militärischen Schritt. Bei einigen Häusern
machten sich die Frauen an den Wäscheleinen zu schaffen und
beobachteten neugierig, wie die Männer vorbeimarschierten. Der
Küster machte Kjartan mit den Gegebenheiten vertraut und
gestikulierte mit der freien Hand: »Dort ist das Lagerhaus,
da drüben das Telegrafenamt, und das hier ist der
Genossenschaftsladen«, zählte er auf, »und hier
wohnt unser ehrwürdiger Herr Pfarrer, und da vorne streckt der
Sohn von Guðjón ein Seehundfell.«
    Sie kamen an einem Schuppen vorbei,
an dessen Giebelseite drei Felle gespannt worden waren, die
Haarseite zur Wand, und ein junger Bursche nagelte gerade das
vierte Fell fest.
    »Und diesen Damm hier nennen
wir die Silbermole«, erklärte Kormákur Kolk und
wies auf eine lange Steinmole, die eine flache Bucht umschloss.
»Ihr Erbauer hat nämlich den Männern, die diese
Steinklötze allein mit der Kraft ihrer Hände
aufschichteten, ihren Lohn in Silber ausbezahlt.« Ein
schwarzer Hund mit geringeltem Schwanz schloss sich ihnen an,
während einige Hennen gackernd von der Straße
flüchteten.
    »Und da oben steht unsere
Kirche mit dem Friedhof davor, und hinter der Kirche liegt die
älteste Bibliothek von ganz Island. Groß ist sie nicht,
aber da gibt es so einige Raritäten, wenn man näher
hinschaut. Es gibt sogar eine perfekte Reproduktion von
Flateyjarbók, dem berühmtesten Buch in der nordischen
Geschichte, Codex Flateyensis, faksimiliert und gebunden bei
Munksgaard in Kopenhagen. Sie wurde der Bibliothek von Flatey
anlässlich des hundertjährigen Jubiläums der
Prosperitätsstiftung der Gemeinde von Flatey
überreicht.«
    Das weiß gestrichene Haus des
Gemeindevorstehers hatte ein grünes Dach. Es stand etwas
außerhalb des Ortes über dem Steilufer. Auf einem
weißen Schild über der Tür stand mit großen,
schwarzen Buchstaben BAKKI geschrieben. Kormákur Kolk
begleitete die drei bis zur Tür, nahm den Hut ab und
verabschiedete sich mit Handschlag von jedem
Einzelnen.    
    »Ich stehe zur Verfügung,
wenn ihr zurückkommt«, erklärte er und hob sich auf
die Zehenspitzen. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und schritt
würdevoll zurück in den Ort.
    Kjartan blickte ihm nach. »Ist
der Küster immer so ausstaffiert?«, fragte er
Grímur.
    »Nein, nur wenn ein
Gottesdienst gehalten wird oder wenn es gilt, Personen von Rang in
Empfang zu nehmen«, antwortete der
Gemeindevorsteher.
    »Dann rechnet er mich wohl zu
den hoch gestellten Persönlichkeiten, denn heute findet ja
wohl kaum ein Gottesdienst statt«, meinte Kjartan
verlegen.
    Grímur lachte. »Tja,
mein Lieber, der Kolk hat großen Respekt vor der Obrigkeit
und ganz besonders vor dem
Bezirksamtmann.«         
     
    »Was für einen Orden hatte
er da eigentlich am Aufschlag?«
    »Das ist die Verdienstmedaille
des Allthing-Jubiläums von 1930. Kolk bekam sie, weil er die
Eiderdaunen bereitstellte, mit denen das Oberbett des
dänischen Königs gefüllt wurde«, antwortete
Grímur.
    Högni fügte hinzu:
»Das muss man dem Kerl lassen, er versteht es, Eiderdaunen zu
verarbeiten.«
    Die Frau des Hauses nahm sie in
Empfang und führte sie in ein Zimmer, wo der Tisch für
drei Personen gedeckt war.
    »Ich heiße
Ingibjörg. Ich hoffe, dass du dich hier bei uns wohl
fühlen wirst«, entgegnete sie, nachdem Kjartan sie
begrüßt und sich ihr vorgestellt hatte. Sie war
korpulent und hatte ein Feuermal an der rechten Wange. Sie trug die
isländische Tracht und darüber eine gestreifte
Schürze.
    »Der Herr Bevollmächtigte
isst doch hoffentlich frischen Seehund, oder?«, fragte
Grímur und setzte sich.
    Kjartan blickte äußerst
skeptisch auf einige dunkle, fette Fleischbrocken in einer
dampfenden Schüssel.
    »Ja, vielleicht probiere ich
mal«, antwortete er schließlich.
    Högni setzte sich ebenfalls. Am
Tisch schien kein Platz für die Hausfrau vorgesehen zu sein,
die jetzt eine Kanne Wasser und Gläser
brachte.
    »Wir essen ziemlich viel
Seehund
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