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Das Raetsel von Flatey

Das Raetsel von Flatey

Titel: Das Raetsel von Flatey
Autoren: Viktor Arnar Ingólfsson
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Motorengeräusch war laut und
die Verständigung entsprechend mühsam.
    »Kein sonderlich bequemer Ort,
um zu schlafen«, sagte Kjartan, als Högni sich
zurechtgelegt hatte.
    Grímur antwortete: »Er
ist müde, der Gute, und er legt sich auf so einer Seereise
gern einmal zwischendurch hin. Um diese Jahreszeit, wenn wir unsere
Pfründe nutzen müssen, ist der Arbeitstag lang, und
Högni tut sich zuerst immer etwas schwer, wenn die Arbeit
losgeht. Er ist Kostgänger bei meiner Imba und arbeitet
dafür im Sommer für uns.«
    »Ist er nicht
verheiratet?«
    »Er war verheiratet, aber seine
Frau ist vor einigen Jahren gestorben. Er schläft im Schulhaus
und isst zweimal am Tag bei uns.«
    Das Boot lag gut im Wasser, und die
Reise war vergleichsweise angenehm. Grímur konzentrierte
sich auf das Ruder, denn allenthalben gab es Schären und
Riffe, die es zu umschiffen
galt.    
    Kjartan hatte das Gefühl, als
müsste er das Gespräch in Gang halten, aber er wusste
nicht so recht, wie. Er blickte über die weite Bucht.
Überall waren Inseln zu sehen, große und
kleine.
    »Ich bin noch nie im
Breiðafjörður gewesen«, sagte er und fügte
hinzu, nur um etwas zu sagen: »Es stimmt wahrscheinlich, dass
die Inseln hier im Fjord unzählbar
sind.«
    Grímur lächelte und
schien bereit, sich mit ihm zu unterhalten. »Ja, wer
weiß, ob man es je schaffen wird, die genaue Zahl zu
ermitteln. Wenn wir davon ausgehen, dass eine Insel ein vom Meer
umflossenes Stück Land ist, wo ein bisschen was drauf
wächst, dann kann man vielleicht eine Zahl festmachen. Auf
diese Weise kommt man auf ungefähr dreitausend Inseln im
gesamten Fjord. Dann sind da aber auch noch die unbewachsenen
Klippen und Schären, und deren Zahl hat bislang niemand
vernünftig ausrechnen können. Deswegen ist durchaus
richtig, dass sie als nicht zählbar
gelten.«         
     
    Kjartan nickte zustimmend und
versuchte, interessiert auszusehen.
    Grímur deutete auf eine Insel,
die steil aus dem Meer ragte, und sagte: »Die Insel dort
drüben ist Hergilsey, seit kurzem nicht mehr bewohnt. Der Name
geht auf Hergils Knopfarsch aus der Saga von Gísli dem
Geächteten zurück. Hast du sie
gelesen?«
    »Ja, aber das ist schon etwas
länger her«, entgegnete Kjartan.
    »Der Sohn von Hergils war
Ingjaldur, der auf der Insel lebte und Bauer war. Berühmt
wurde er, weil er dem geächteten Gísli Unterschlupf bei
sich gewährte. Als der Dicke Börkur den Ingjaldur
töten wollte, weil er einen Vogelfreien versteckt gehalten
hatte, sprach Ingjaldur der Alte Folgendes.«
    Grímur holte tief Atem und
intonierte mit veränderter Stimme: »Nicht klage ich,
wenn ich die Fetzen, die ich auf dem Leib trage, nicht völlig
verschleißen kann.«
    Grímur grinste und fügte
hinzu: »Die Leute hier im Breiðafjörður haben
noch nie viel Aufhebens um Lappalien
gemacht.«
    Kjartan nickte und bemühte sich,
ebenfalls zu lächeln.
    Grímur deutete auf
verschiedene Inseln, nannte ihre Namen und erzählte etwas
über ihre Geschichte. Im Westen lag die
Oddbjarnar-Schäre, wo früher während der Fangsaison
immer sehr viel los gewesen war. Vor allem arme Schlucker zogen
damals dorthin, um sich in Jahren der Not durchzuschlagen. Dann
Skeley, Langey, Feigsey und Sýrey. Jeder Name hatte seine
Geschichte.
    Högni wachte aus seinem
Schlummer auf, setzte sich zu ihnen und trug nun seinen Teil zu den
Erzählungen bei. Als Flatey in Sicht kam, sagte er: »Es
war um die Weihnachtszeit kurz vor der Jahrhundertwende, als vom
Festland aus ein Schiff mit einer Holzladung nach Flatey losfuhr,
die dort als Feuerholz verkauft werden sollte. Die Besatzung
bestand aus sechs Männern. Sie gerieten in schwere See und
hatten entsprechend schlechte Sicht. Sie landeten schließlich
auf Feigsey, aber das Boot zerschellte.«
    Högni zeigte Kjartan, wo Feigsey
war, und fuhr dann fort: »Dort saßen sie tagelang fest,
ohne Essen und ohne Feuer. Solange es tagsüber hell war,
konnten sie sehen, wie in Flatey die Leute zwischen den
Häusern hin und her gingen. Endlich wurden ihre Schreie aber
gehört, und sie konnten geholt werden. Alle überlebten
diese Strapazen, was eigentlich unglaublich war, denn sie hatten
außer ein bisschen Butter überhaupt keine Vorräte
dabei.«
    Högni kam jetzt beim
Geschichtenerzählen in Fahrt: »Vor einigen Jahrzehnten
strandete einmal ein ausländischer Frachter hier im Fjord. Er
hatte Telefonmasten und importiertes Schmierfett geladen. Die
Besatzung konnte gerettet werden, aber
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