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Das Prinzip Selbstverantwortung

Titel: Das Prinzip Selbstverantwortung
Autoren: Reinhard K. Sprenger
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für die Konsequenzen der Wahlentscheidung, besonders für das Abgewählte, zu übernehmen. Bloß nichts riskieren! Die gesamte Werte-Diskussion scheitert an diesem mangelnden Mut zur Klarheit. Was da produziert wird, ist Begriffslametta, das zu nichts verpflichtet als zu seiner schmucken Vermehrung. Werte haben einen hohen Stellenwert! Nach dem Komma.
    Leitlinien? Leidlinien!
    Double-Bind ist die Methode, Zweck und Mittel oberflächlich zu versöhnen, aber unter der Hand sich die Seite aussuchen zu können, von der man selbst am meisten profitiert. Das hat ruinöse Folgen für die geistige Hygiene des Unternehmens, vor allem aber für die Glaubwürdigkeit der Führung. Das Paradox, das es hinterlässt, wird vielleicht am besten deutlich in einem kurzen Rollenspiel, das auf dem Management-Symposium eines Mineralöl-Konzerns von zwei Führungskräften mit großem Erfolg aufgeführt wurde. Szene: Eine Führungskraft wird nach längerem Auslandsaufenthalt mit den neuen Unternehmensleitlinien konfrontiert:

    »Wer hat denn das Zeug geschrieben?«
    »Irgend so ’ne Werbeagentur. Die haben wahrscheinlich nur von einer anderen Firma geklaut und einfach das Firmenlogo ausgetauscht. Und eine task force von uns hat das Ganze dann ein bisschen unternehmensspezifisch angepasst und einige Kommas verschoben. Anschließend hat es dann die Geschäftsleitung genehmigt.«
    »Genehmigt. Hm. Einfach so, ohne Änderung?«
    »Nee, nee. Die haben extra einen Juristen angeheuert, der dann dafür gesorgt hat, dass die Formulierungen so allgemein sind, dass man sie nicht darauf festnageln kann. Das wäre ja auch noch schöner.«

    »Schau mal her: ›Mitarbeiter sind in erster Linie Mitmenschen.‹ Potzblitz. Das Kursbuch der isländischen Staatsbahnen ist informativer |236| . Und hier: ›Wir wollen nach den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft handeln.‹ Das macht uns nachdenklich, nicht wahr? ›Die XY AG (nein, die Firma wollen wir dann doch nicht nennen) strebt nach Fortschritt.‹ Is’ ja ’n Ding! ›Wir bemühen uns um die Aufrechterhaltung eines fairen Wettbewerbs.‹ Wenn ich daran denke, um was ich mich schon alles
bemüht
habe … ›Wir respektieren anerkannte ethische Maßstäbe.‹ Soll man applaudieren?«
    »Ist eigentlich geprüft worden, ob die Aussagen zu anderen Policies, Ausführungsbestimmungen und Führungsinstrumenten passen?«
    »Ist das wichtig?«
    »Aber das kann doch böse Widersprüche geben.«
    »Du nimmst es aber genau. Das fällt doch niemandem auf!«
    »Habt ihr denn wenigstens die Führungsseminare an die neuen Grundsätze angepasst?«
    »Ach was, die Grundsätze sind so allgemein gehalten, daraus lässt sich alles heraus- und hineinlesen. Die haben soviel Orientierungskraft wie ein Kreiselkompass am Nordpol. Da brauchen wir nichts zu ändern.«
    »Wie haben die Mitarbeiter reagiert?«
    »Die haben sich kaputtgelacht.«
    »Warum denn das?«
    »Weil die ihr eigenes Unternehmen darin nicht wieder erkannt haben. ›Das muss ’ne andere Firma sein‹, sagen sie.«

    In den USA gehört diese Form von Businessethik dahin, wo sie hingehört: ins Marketing. Solche Leitsätze sagen alles und damit nichts. Eine funktionsfähige Moral beinhaltet klare Wert-Entscheidungen, mithin auch Entscheidungen
gegen
alternative Wertkonzepte. Diese Entscheidung muss getroffen werden und darf sich nicht im Sowohl-als-auch verflüchtigen.
    Neue Werte braucht das Land!
    Gegenrede:
Aber Menschen brauchen doch Orientierung!
Die Ironie besteht darin, dass es gerade der Missklang zwischen den konfligierenden Top-down-Offenbarungen ist, der im Effekt |237| moralischen Relativismus bedeutet. Ein Beispiel: Hätten wir uns nicht so propagandistisch unternehmenskulturell aufgerüstet, wäre die Fallhöhe 1992/94 nicht so dramatisch gewesen. So aber hat sich das Gerede vom »Dialog« und vom »Menschen im Mittelpunkt« vielerorts als unternehmenskulturelle Sättigungsbeilage entlarvt. Neudeutscher Schönsprech: Schrieb man früher, dass soundso viele Leute entlassen werden, so werden heute die Unternehmen allenthalben »schlanker«. Klingt ja auch irgendwie netter. Wir haben doch auch in den Zeiten vor Corporate Identity Unternehmen erfolgreich geführt. Gerade
weil
die Unternehmensbotschaften so lautstark proklamiert werden, entstehen die Vergleichsmöglichkeiten zwischen Handeln und Sagen, die andernfalls nicht, zumindest nicht so drastisch, zutage getreten wären. Wenn ich Botschaften verlautbare, muss ich sie leben. Aber dann
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