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Das Phantom im Opernhaus

Das Phantom im Opernhaus

Titel: Das Phantom im Opernhaus
Autoren: Jan Beinßen
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stechenden Augen wirkten heute Abend ungewohnt mild, beinahe verängstigt. »Ich habe eine Auszeit gebraucht«, sagte sie, hustete und fingerte nach einer Zigarette. Sie zündete sie an und nahm einige tiefe Züge. Erst als sich die Menschentraube um sie herum langsam auflöste, holte sie zu einer Erklärung aus. »Ich habe mich geschämt«, bekannte sie freimütig. »Ich habe eine meiner langjährigsten Bekannten verraten. Üble Nachrede habe ich betrieben, schlimmer noch …«
    Weiter kam sie nicht, denn Haas brüllte aus dem Hintergrund: »Flemming! Wenn Sie nicht auf der Stelle mit Ihrer Kamera antanzen, fliegen Sie! Jetzt sofort!«
    Paul nickte pflichtbewusst, konnte sich eine letzte Bemerkung zu der Maskenbildnerin aber nicht verkneifen: »Sie brauchen sich nicht zu grämen. Denn wie heißt es doch so schön: Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung.« Aufmunternd fügte er hinzu: »Hauptsache, Sie sind wieder dabei. Irena wird sich freuen, Sie vor ihrem großen Auftritt zu sehen.« Tatsächlich konnte er der Dorfner damit ein kleines Lächeln entlocken.
    Dann aber folgte er tunlichst den Anweisungen seines Chefs und brachte sich in Position für die nahende Eröffnungszeremonie der Gala. Er hörte, wie die Musiker in der Orchesterloge ihre Instrumente anstimmten, schaltete die Kamera ein, aktivierte das Blitzlicht – und zuckte zusammen, als ihm eine schmale Hand auf die Schulter tippte. Erschrocken fuhr er herum und sah Hannah in ihre blauen Augen. »Himmel!«, stieß er aus. »Wo hast du gesteckt?«
    Bevor Hannah diese Frage beantworten konnte, begann das Programm. Das Orchester schmetterte das klangvolle Auftrittslied aus Emmerich Kaimans Csardasfürstin. Unverzüglich machte sich Paul ans Werk, lichtete die Instrumentalisten ab, wendete das Objektiv dann in Richtung des Publikums.
    Er sprang von einer Position in die nächste. Er knipste das Moderatorenpaar, das in dem mit roter Kordel abgetrennten Bühnenbereich stand und mit Witz und Pfiff durch das Programm führte. Anschließend schoss er Fotos von szenischen Darstellungen aus La Bohème, bevor er sich einer Einlage des Balletts widmete.
    Immer wieder musste er Belichtungszeiten und Blendenwerte ändern, denn Hans im Glück tobte sich in seinem Lampengarten so richtig aus. Bald begann Paul unter seiner Smokingjacke zu schwitzen und vergaß im Eifer des Gefechts ganz, sich noch einmal nach Evelyn Glossner umzusehen.
    Die Zeit verging für ihn wie im Flug, so sehr war er mit seinen Aufnahmen beschäftigt. Geradezu ekstatisch sauste er von links nach rechts, fotografierte in der Totalen und im Detail, widmete sich den einzelnen Gesichtern und dem Gesamteindruck des festlich dekorierten Ballsaals. Ehe er sich versah, leiteten die Moderatoren das Finale des Programmblocks ein, den letzten Part, bevor das Parkett als Tanzfläche freigegeben wurde.
    Paul bemerkte, wie Irena an die Seite des Bühneneingangs trat, auf dem Schritt gefolgt von Paula Dorfner. Sie hatten sich also versöhnt, dachte Paul angenehm berührt.
    Irena selbst trat würdevoll und in – beinahe – alter Stärke und Größe auf die Bühne, sie gab sich gleichzeitig kokett und verführerisch, ganz wie es ihre Rolle verlangte. Auf der Bühne wandelte sie sich von der problembehafteten und scheuen Irena zur selbstsicheren, begehrenswerten Frau. Das Publikum applaudierte ihr euphorisch und stachelte sie mit diesen Vorschusslorbeeren spürbar an.
    Die Musik hob an. Voller Leidenschaft und mit kraftvoller Stimme interpretierte Irena die Carmen auf ihre ganz persönliche Art. Auch Paul konnte nicht umhin, begeistert zu sein von der Präzision ihrer Stimme und der Überzeugungskraft ihres Ausdrucks. Das, was er hier hören durfte, war Oper vom Feinsten. Eine Meisterleistung!
    Er fotografierte die Szenerie von vorn, wechselte dann zurück auf den Bühnenbereich und lichtete Irena von der Seite ab. Als er rückwärts gehend beinahe an die Prospektzüge stieß, tippte ihm Hannah ein zweites Mal auf die Schulter.
    »Nicht jetzt!«, fuhr Paul sie an.
    Seine untypische Schroffheit schien Hannah einzuschüchtern. Aber nicht lange. »Du, Paul«, setzte sie an. »Da stimmt etwas nicht.«
    Paul dachte gar nicht daran, seinen Blick vom Okular der Kamera zu nehmen, und grummelte nur: »Was soll denn nicht stimmen? Und noch mal die Frage: Wo hast du dich die ganze Zeit herumgetrieben?«
    »Ich wollte bei Britta vorbeischauen, um ihr ›Toi, toi, toi‹ für ihren Auftritt zu wünschen.«
    »Sie ist erst
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