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Das Phantom im Opernhaus

Das Phantom im Opernhaus

Titel: Das Phantom im Opernhaus
Autoren: Jan Beinßen
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gnadenlosen Endgültigkeit zu nehmen: Er suchte seine Zuflucht im Witz oder besser gesagt: im Sarkasmus. Paul hatte beobachtet, dass sich auch viele Polizisten und Gerichtsmediziner so verhielten. Sie bauten einen Schutzschild aus derbem Humor um sich herum auf, um das Grauen nicht an sich heranzulassen. Blohfeld, der Zyniker, hatte diese Taktik des Selbstschutzes zur Perfektion getrieben. Auch jetzt, da er Pauls Zaudern bemerkte, setzte er zu einem lockeren Spruch an, wurde jedoch unterbrochen.
    »Die Presse soll mit ihren Fotos noch warten«, hörte Paul die vertraute Stimme von Katinka Blohm, die soeben hinter einem Kulissenteil hervortrat. Mit ihrem energischen Mund, den lebhaften Augen, dem langen blonden Haar und den dunklen Augenbrauen besaß sie eine natürliche Eleganz und ungezwungene Autorität. »Erst decken wir den Verstorbenen ab«, ordnete die Oberstaatsanwältin mit strenger Miene an. Diese hellte sich allerdings auf, als sie Paul bemerkte. »Du?«, fragte sie überrascht. Sie stellte sich dicht neben ihn und flüsterte ihm ins Ohr: »Ich dachte, du wolltest keine Jobs als Polizeireporter mehr annehmen?«
    »Ich bin da so reingeschlittert«, raunte er ihr zu, während seine Hand in der Hosentasche nach dem Schmuckkästchen tastete. »Außerdem waren wir verabredet. Wenn du nicht zu mir kommst, komme ich eben zu dir«, sagte er augenzwinkernd.
    Katinka strich lächelnd ihr Haar zurück. »So etwas nennt man hartnäckig! Entschuldige, dass ich unser Date nicht eingehalten habe, aber du siehst ja selbst: Ich hatte nicht einmal Zeit, dich anzurufen.«
    »Hmmrrr.« Blohfeld räusperte sich lautstark. »Wenn ich die Turteltäubchen unterbrechen dürfte: Gibt es schon was Offizielles über die Tat? Den Namen des Opfers? Todesursache? Tathergang? Und möglicherweise schon einen Tatverdächtigen?«
    »Immer langsam«, sagte Katinka und setzte augenblicklich wieder ihren kühlen Juristenblick auf. Ehe sie auf Blohfelds Fragen einging, sah sie sich aufmerksam um, entdeckte eine kleine Gruppe Neugieriger am Ende der Halle und rief ihnen laut zu: »Bitte entfernen Sie sich vom Tatort! Sie behindern die Ermittlungen der Polizei!« Eine ältere Rothaarige mit Pinsel und Wattebausch in der Hand und eine jüngere Frau, aus deren Kragen weißes Krepppapier lugte, trollten sich sofort. Offenbar eine Sängerin und ihre Maskenbildnerin, reimte sich Paul zusammen. Einem dritten unerwünschten Beobachter, einem drahtigen Mittfünfziger mit ausgeprägten Geheimratsecken in seinem wallenden weißen Haar, fiel es sichtlich schwerer, sich von dem Anblick des Toten zu lösen. Katinka wartete geduldig, bis auch er gegangen war. Erst dann gab sie Blohfeld eine Antwort: »Über Tat und Todesursache gibt es bislang keine Informationen. Wir stehen ganz am Anfang. Über das Opfer kann ich Ihnen mitteilen, dass es sich um einen gewissen Herrn Norbert Baumann, Jahrgang 1967, handelt. Baumann arbeitete hier als Bühnenfotograf.«
    Ja, natürlich, dachte Paul: Baumann! Der war ihm durchaus ein Begriff, nur hatte er ihn wegen der entstellten Gesichtszüge nicht gleich erkannt. Baumann war schon lange als Fotograf im Geschäft gewesen, früher – genau wie Paul – als Freiberufler. Später dann ergatterte er den begehrten und sicheren Job bei den Städtischen Bühnen und fotografierte seitdem bei den Proben des Staatstheaters, bei der Oper und hin und wieder bei Ballettaufführungen in der Tafelhalle. Paul hatte Baumann nicht sonderlich sympathisch gefunden. Aber er war ihm nicht oft genug begegnet, um sich eine ausgewogene Meinung bilden zu können.
    Neugierig geworden, setzte sich Paul über seine Skrupel hinweg und näherte sich nun doch dem Toten. Er betrachtete das verzerrte Gesicht, die Schaumbläschen vor dem Mund. Nach seinem laienhaften Dafürhalten sprach vieles für eine tödliche Vergiftung. Die konnte sich Baumann durchaus selbst zugefügt haben, überlegte Paul. Entweder durch ein Versehen oder bewusst, wenn sich das Ganze als Selbstmord herausstellen sollte. Aber sehr wahrscheinlich erschien ihm das nicht. Ort und Umstände sprachen für Mord. Paul, der das Ermitteln ja eigentlich ein für allemal sein lassen wollte, ertappte sich bei der Frage: Wer mochte einen Grund dafür gehabt haben, einen Bühnenfotografen umzubringen?
    Bevor er Gelegenheit hatte, die Leiche eingehender zu betrachten, folgte einer der umstehenden Polizeibeamten Katinkas Anweisung und breitete ein weißes Laken über den Leichnam.
    »Wo sind wir hier
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