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Das Phantom im Opernhaus

Das Phantom im Opernhaus

Titel: Das Phantom im Opernhaus
Autoren: Jan Beinßen
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»Bist du neuerdings zu meinem Wachhund avanciert?« Er stand auf und schnürte sich das Handtuch um die Lenden. »Tschüss. Viel Spaß beim Schwitzen.«
    »Werde ich haben«, meinte Hannah mit einem zuckersüßen Lächeln. »Übrigens: Deine rothaarige Polizeischnecke hat ’nen süßen Arsch.«
    »Ich werde es ihr bei Gelegenheit ausrichten«, sagte Paul verkniffen.
    Vielleicht, dachte er sich, als er wenig später in der Umkleidekabine stand und seine Sachen zusammenpackte, sollte er das Fitnessstudio wechseln.

5
    Tag eins als Bühnenfotograf begann für Paul in der Kantine. Wenn es einen Ort gab, an dem alle Fäden zusammenliefen und die Menschen aus den verschiedensten Bereichen des Theaterbetriebs zusammenkamen, dann war es der Speisesaal. Der ideale Ort, um unauffällig Erkundigungen einzuziehen – so jedenfalls sah Pauls Plan aus. Da er von Klinger ohnehin erst am frühen Nachmittag für die Einweisungen in seinen neuen Job erwartet wurde, wollte er die Mittagszeit für seine Detektivarbeit nutzen. Nicht dass er vorhatte, mal wieder einen Kriminalfall zu lösen, nein, nein, davon war er ein für allemal geheilt. Ihm ging es nur darum, mehr über das Wesen und das Schaffen seines Vorgängers zu erfahren und herauszufinden, wie die Leute am Theater so tickten. Denn er wollte ja das Beste aus seinem neuen Job machen und nicht etwaige Fehler von Baumann wiederholen. Das ging nur, wenn er sich auskannte.
    Sein erster Eindruck von der Kantine, die er sich ganz anders vorgestellt hatte, überraschte ihn. Der Raum war schlicht und zweckmäßig eingerichtet; es sah aus wie in jeder x-beliebigen Firma. Auch die meisten Gäste wirkten ganz normal. Paul hätte es mit der Belegschaft einer Versicherung, einer Behörde oder einer Fabrik zu tun haben können. Er machte Männer mit Anzug und Schlips ebenso aus wie eine Gruppe im blauen Overall und einen munter plaudernden Damentisch mit einer Besetzung wie aus dem Frisiersalon. Was er nicht sah, waren farbenprächtig kostümierte Mimen, die selbst beim Essen ihre Textbücher nicht aus der Hand legten und sich komplett auf den nächsten Auftritt konzentrierten. Irgendwie war Paul enttäuscht.
    »Suchen Sie jemanden Bestimmtes?« Die Frau, die ihn ansprach, war fast zwei Köpfe kleiner als er, pummelig und freundlich.
    »Nein«, antwortete Paul spontan. Dann besann er sich eines Besseren: »Das heißt: ja! Ich bin neu hier. Ich fange heute als Nachfolger von Norbert Baumann an, dem Bühnenfotografen.«
    Die mollige Blondine war von dieser Auskunft offensichtlich so verblüfft, dass sie wie ferngelenkt einen Schritt zurücktrat und Paul voller Erstaunen ansah. Er konnte sich denken, was in ihrem Kopf vorging: Sie war verwundert oder sogar empört darüber, dass die Stelle des Toten so schnell neu besetzt worden war – noch vor dessen Beerdigung. Doch der Frau gelang es, ihre Irritation sehr schnell zu überwinden. Lächelnd streckte sie Paul ihre Hand entgegen. »Willkommen im Club. Ich bin Evelyn Glossner.«
    Paul schlug ein und war angenehm berührt von diesem netten Empfang. »Sind Sie Schauspielerin?«, fragte er, korrigierte sich angesichts ihrer gedrungenen Statur jedoch: »Oder Sängerin?«
    »Weder noch«, antwortete Evelyn Glossner und senkte geschmeichelt den Blick. »Doch wenn Sie mich unbedingt als Akteurin einstufen möchten, spiele ich hier die Rolle des Betriebsarztes.«
    »Oh, Sie sind Medizinerin?«
    »Ich bin Psychologin. Und Sie können mir glauben: Am Theater ist ein guter Seelenklempner dringender vonnöten als ein Sanitäter.«
    »Ach … – sind Sie fest bei den Städtischen Bühnen angestellt?«
    »Nein, nein. Nur stundenweise. Ich habe meine Praxis in der Stadt. Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass ich meine gesamte Arbeitszeit hier verbringen könnte. Bedarf wäre jedenfalls genug da.« Mit diesen Worten berührte sie noch einmal kurz Pauls Hand. »Ich will Sie nicht aufhalten. Reihen Sie sich ein, wenn Sie noch etwas vom Nachtisch ergattern wollen. Heute gibt es Milchreis mit Zimt und Zucker.«
    Paul nahm den Ratschlag gern an und begab sich mit der Milchreisschale in der Hand auf die Suche nach einem freien Platz. Den fand er neben einer etwas schüchtern wirkenden Frau. Er schätzte sie auf Mitte 20. Sie hatte schwarz glänzendes Haar und ein hübsches, aber blasses Gesicht, mit dem ihre auffallend rot lackierten Fingernägeln kontrastierten.
    »Darf ich?«, fragte Paul und rückte neben sie auf die Sitzbank. »Mein Name ist Paul Flemming.
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