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Das peinlichste Jahr meines Lebens

Das peinlichste Jahr meines Lebens

Titel: Das peinlichste Jahr meines Lebens
Autoren: Mark Lowery
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automatische Mitteilungen, wenn das Training ausfällt).
    Lustlos sah ich auf dem Handy nach, richtete mich dann aber sofort auf. Die SMS kam von Lucy. Lucy King. Woher hatte sie meine Nummer? Natürlich hatte ich ihre. [82] Ich zitterte am ganzen Körper. Schließlich erhält man nicht jeden Tag eine Nachricht von einer potentiellen Weltklassesportlerin.
    »Hi Mike. Alles ok? Hab ne tolle Idee, um Probs zu lösen. L x«
    Ein
Kuss
. Jeder weiß, dass ein Kuss in einer SMS noch besser ist als ein richtiger. Im Gegensatz zu einem richtigen Kuss, der (wahrscheinlich) in Millisekunden vorbei sein kann, dauert ein SMS -Kuss ewig. Es sei denn, man löscht die Nachricht.
    Diese Nachricht werde ich nie löschen. In zehn Millionen Jahren, lange nach dem Aussterben der Menschheit, werden Außerirdische den Planeten besiedeln. Tief unter den Trümmern unserer untergegangenen Zivilisation begraben werden sie mein Handy finden, es einschalten und sehen, dass der Kuss von Lucy immer noch da ist.
    Mit zitternden Händen schrieb ich zurück: »Liebe Lucy, es war eine wunderbare Überraschung, von dir zu hören. Was für eine Idee schwebt dir vor? Ewig dein, Michael.« [83]
    Einen Augenblick schwebte mein Finger über der Ziffer neun auf der Tastatur. Sollte ich’s tun? Sollte ich? Sollte ich wirklich? Völlig aufgewühlt stieß ich den Finger auf die Taste:
    »X«
    Bevor ich die Gelegenheit hatte, es wieder zu löschen, drückte ich auf »Senden«.
    Nachricht gesendet
.
    Plötzlich überfiel mich panische Angst. Ich meine, es war ein Kuss mit
großem
X. War das nicht ein bisschen aggressiv? Würde sie nicht denken, dass ich ihr, wie eine Giraffe, die auf einer Safari den Kopf durchs Autofenster streckt, mit unbändigen Lippen und kraftvoller Zunge einen Kuss aufzwinge? Das war nicht gut.
    In kalten Schweiß gebadet, begann ich eine neue Nachricht zu schreiben:
    »Liebe Lucy, bitte verzeih mir den Überschwang meiner Gefühle. Ich wollte dich nicht kränken, aber …«
    Mein Handy piepte wieder.
    Lucy!
    Voller Angst löschte ich, was ich getippt hatte, und öffnete die Nachricht.
    »Du bist lustig. Lol ;). [84] Warte auf dich am Bahnhof von Preston morgen früh um 9 . Bring Badehose & Handtuch mit. CU GlG L x x x x«
    Vier Küsse und ganz liebe Grüße!
    Ich wäre buchstäblich fast geplatzt.
    Ich war so aufgeregt, dass ich fast fünf Minuten brauchte, um zu antworten:
    »Liebe Lucy, ich werde pünktlich da sein. Herzliche Grüße, Michael x x x x x«
    Fünf Küsse, Lucy. Hoffentlich ist dein Gesicht darauf vorbereitet!
    Postskriptum Strand von Blackpool
    Ich bin froh, dass es neblig ist. Das bedeutet, dass der Strand leer ist.
    Der Eselverleiher will uns keinen Esel geben. Er sagt, wir sind zu groß. Ich erwidere, dass Lucy nur achtundvierzig Kilo wiegt und ihn deshalb reiten kann. Lachend fragt sie, woher ich das weiß. Ich sage nichts.
    Das habe ich auf der Website des Schwimmvereins gelesen.
    Er wirkt immer noch skeptisch, und ich ziehe meinen Geldbeutel aus dem Rucksack und bezahle ihm von dem Geld, das ich heute früh vor der Zugfahrt von meinem Konto abgehoben habe, den doppelten Preis. Lucy will die Hälfte der Kosten übernehmen, aber ich erkläre ihr, dass jetzt erst mal meine Probleme gelöst werden, nicht ihre.
    Lucys Idee war ganz einfach. Sie hat gesagt, wir sollten zum Strand gehen und uns amüsieren. Wir sollten unseren Ängsten und Hemmungen direkt ins Auge blicken. Ich wollte keinen Esel ausleihen, doch sie sagte, das sei wichtig für mich. Dabei drückte sie meine Hand. Ich stimmte sofort zu.
    Als Lucy auf den Esel steigt, zittere ich. Mir ist übel, doch ich schlucke den Kloß in meinem Hals runter und führe sie mit dem Seil am Strand entlang.
    Als wir am Wasser entlanggehen und die Glöckchen und Schnallen des Esels bimmeln, strecke ich die zitternde Hand aus und tätschele ihm den Hals. Plötzlich schießt ein Stromstoß durch meine Arme, von den Fingerspitzen bis zur Schulter hinauf. Sofort ziehe ich die Hand zurück.
    Nichts passiert. Ich sterbe nicht. Mein Hand färbt sich weder grün, noch fällt sie ab. Die Narbe an meinem Kinn pulsiert nicht und platzt auch nicht wie ein Luftballon.
    Ich hole tief Luft.
    Ganz langsam lege ich die Hand wieder auf sein Fell und lasse sie diesmal liegen. Es ist warm und weich.
    Ich muss lächeln, und irgendwas überkommt mich. Wir sind hier, um uns unseren Problemen zu stellen, aber eigentlich macht es Spaß. Ich weiß nicht mehr, wann ich mich zum letzten Mal amüsiert
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