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Das peinlichste Jahr meines Lebens

Das peinlichste Jahr meines Lebens

Titel: Das peinlichste Jahr meines Lebens
Autoren: Mark Lowery
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Laptopbatterie glühend heiß, weil sie schon so lange läuft, eine leere Custard Creams-Packung ordentlich auf meinem Schreibtisch zusammengefaltet, weiß ich, dass es noch etwas gibt, worüber ich mit Mum sprechen muss. Ich kann die Geschichte auf keinen Fall richtig abschließen, bevor sie mir nicht ein für alle Mal erklärt, was es mit dem Mann am Strand auf sich hat.
    (Zwanzig Minuten später) Mum kommt nach Hause
    In dem Moment, als ich den letzten Satz getippt hatte, kehrte Mum vom Einkaufen zurück. Das Klicken der Tür war wie ein Schalter, der mich in die Vergangenheit zurückkatapultierte: der Strand, der Esel, das Gesicht des Mannes. Ich musste die Wahrheit herausfinden.
    Unverzüglich sog ich an meinem Inhaliergerät, schaltete den Laptop aus und stellte sie an der Haustür zur Rede.
    »Warum hast du mir nie was davon erzählt?«, fragte ich. Ich spürte, dass mein Gesicht zu glühen begann.
    »Dir wovon erzählt?«, fragte sie seufzend.
    »Von dem Tag, an dem ich mit fünf Jahren von dem Esel abgeworfen wurde?«
    Mum verdrehte die Augen. »Wovon redest du da?«
    »Da hat alles angefangen, stimmt’s? In dem Moment, als ich in der Nudistengruppe gelandet bin, hast du mit diesem, diesem, diesem ganzen Nacktheitsunsinn angefangen.«
    Mum riss die Augen auf. »Wie hast du …?«
    Ich zuckte mit den Schultern.
    Sie holte tief Luft. »Ich wollte dich damit nicht durcheinander bringen. Ich wollte nicht, dass du verletzt wirst.«
    »Du hast mich aber durcheinander gebracht. Und ich wurde verletzt«, sagte ich. »Und jetzt erklär mir das Ganze.«
    Eine lange Pause trat ein. Nach einer Weile holte Mum tief Luft und blickte zu Boden.
    »Es tut mir leid«, sagte sie. »Wir haben Urlaub in Devon gemacht und waren am Strand. Du hast auf dem Esel gesessen. Und plötzlich warst du verschwunden.«
    »Weil Ste ihm auf den Hintern gehauen hat.«
    Mum lächelte traurig. »Kann sein. Jedenfalls sind wir am Strand hinterhergerannt, bis er den Zaun erreicht hat, und da blieb er plötzlich stehen und warf dich ab. Ich war wie versteinert. Als ich ankam, warst du …«
    »… umringt von nackten Idioten«, warf ich ein.
    »Na ja, so kann man es auch sehen. Du warst im Strandabschnitt für Nudisten, der vom übrigen Strand abgetrennt war. Und ein Mann hielt dich im Arm. Ringsum standen ganz viele Leute und machten einen ziemlichen Wirbel. Du warst voller Blut und hast geweint, aber sonst schien alles in Ordnung zu sein. Jemand hatte dir einen Keks geschenkt. Und als ich sah, dass es dir gutging, erregten die anderen meine Aufmerksamkeit. Sie sahen so …«
    »Abstoßend?«
    Mum schien nicht mitzubekommen, was ich gesagt hatte. »… glücklich aus. Ich war erschüttert. Ich meine, ich hatte so was noch nie gesehen. Und im Vergleich zu mir, völlig erschöpft, weil ich mich um zwei kleine Jungen kümmern musste, waren sie einfach
frei
, und ich verstand völlig, was sie da taten.«
    »Sich an ihren Teilen einen Sonnenbrand holen?«
    »Nein. Ausbrechen. Die Regeln vergessen. Rausgehen und tun, was man will. Ich war so neidisch.« Sie gestattete sich ein kurzes Lächeln. »Ich muss eine Ewigkeit dort gestanden haben, denn der Mann, der dich hielt, fragte plötzlich in ziemlich schroffem Ton so was wie: ›Ist das Ihrer?‹ und drückte dich mir in die Arme. Und es war …«
    Ich erschauderte, als ich mich an das Gesicht des Mannes während der Hypnose erinnerte. »… Dave King.«
    »Ja«, sagte sie leise. »Natürlich wusste ich damals noch nicht, wer er war. Er war bloß ein unbekleideter Mann.«
    »Hmm.«
    Mum seufzte. »Jedenfalls ging der Urlaub zu Ende, und wir fuhren nach Hause. Lange konnte ich nur daran denken, wie glücklich und frei diese Leute waren. Mein Leben voller Regeln und harter Arbeit kam mir einfach so trist vor. Aber als ich ungefähr ein Jahr später mit dir im Babybecken des Freizeitzentrums planschte, habe ich ihn gesehen.«
    »Wen?«
    »Dave. Er trainierte die Schwimmer im großen Becken und schrie Lucy an, die damals erst sechs war. Er war zwar bekleidet, aber ich erkannte ihn sofort wieder. Ich konnte es kaum glauben. Direkt hier in Preston. Deshalb hab ich dich an dem Tag im Schwimmverein angemeldet.«
    Ich sog fest an meinem Inhaliergerät. »Du willst sagen, dass du mich in den letzten acht Jahren zum Schwimmen gezwungen hast, damit du nackt rumlaufen kannst?«
    Mum riss die Augen auf. »Nein, so war das nicht … Na ja, okay, irgendwie schon. Schon bald bist du dreimal wöchentlich
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