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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies
Autoren: Barbara Wood
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Sie führte Khadija zur Veranda hinauf, wo ein junges Dienstmädchen den vornehmen Gast scheu begrüßte. Auf eine Geste von Khadija reichte der Chauffeur dem Dienstmädchen die braune Ledertasche, die sie neben einen Stuhl stellte, und dann eilte sie ins Haus, um Tee und Gebäck zu bringen. Die Dorfbewohner blieben zurück, denn das Haus war der persönliche Bereich von Dr. van Kerk. Nur in Notfällen erschienen sie hier. Als sie sahen, daß sich die Ärztin mit ihrer Besucherin in die Rattansessel der Veranda setzte, nickten sie zufrieden, und die Menge zerstreute sich. Das aufregende Ereignis war für sie vorüber.
    Unausgesprochene Worte lagen in der Luft, während Amira und Khadija schweigend beobachteten, wie der Feuerzauber im Westen langsam verblaßte und der Himmel schließlich so violett wie aufblühender Lavendel wurde. Der zärtliche Wind, der über den Nil wehte, strich sanft über die weißen Falten und spielte mit dem fleckenlosen Seidenschleier der alten Frau. Amira staunte, daß Khadija die lange Fahrt allein gemacht hatte, denn sie verließ so gut wie nie das Haus. Erst als Neun- undvierzigjährige hatte sie sich zum ersten Mal allein auf die Straße hinaus gewagt. Jetzt war Khadija bestimmt bald neunzig, aber noch immer bei Kräften, denn nur auf ihren Stock gestützt, hatte sie den Weg von der Klinik zu dem Haus zu Fuß zurückgelegt. So würdevoll war sie gegangen, daß niemand ihr Alter und ihre Gebrechlichkeit ahnte.
    Weiter reichte Amiras Bewunderung nicht, denn Khadija war ihre Feindin, und nur zögernd und widerwillig hatte sie die Wiederbegegnung über sich ergehen lassen – die erste nach so vielen Jahren. Amira biß die Zähne zusammen. Sie würde nicht zuerst sprechen. Khadija hatte in einem Telegramm ihren Besuch in Al Tafla angekündigt, also sollte sie das Schweigen brechen.
    Das Dienstmädchen servierte auf dem besten Messingtablett und in Porzellantassen den heißen Minztee. Auf zwei Tellern brachte sie Aprikosenplätzchen und Mandarinen. Sie stellte die gefüllte Teekanne auf den Tisch und verschwand wieder im Haus.
    Als sie gegangen war, richtete Khadija ihre dunklen mandelförmigen Augen auf Amira. Die großen Schwäne am Fluß verließen das sumpfige Ufer und glitten ins Wasser zurück. Amira konnte das Schweigen nicht länger ertragen und fragte:
    »Wie geht es dir?«
    »Mir geht es gut, und dafür bin ich Gott dankbar.«
    »Wie hast du erfahren, daß ich hier bin?«
    »Ich habe Itzak Misrachi nach Kalifornien geschrieben. Er kannte deine Adresse. Du siehst gut aus, Amira«, fügte sie mit leichtem Beben in der Stimme hinzu. »Du bist jetzt Ärztin, das ist gut so. Du hast einen sehr verantwortungsvollen Beruf.« Sie breitete die Arme aus. »Willst du mich nicht umarmen?«
    Amira zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Diese Frau war bei ihrer Geburt die Hebamme gewesen. Ihre nach Mandeln duftenden Hände hatten Amira berührt, als sie auf die Welt kam. Sie wußte, Khadija hatte sie geküßt, wie sie alle Neugeborenen mit einem Kuß auf dieser Welt begrüßte. Aber als sie das unergründliche Glühen in den schwarzen Augen sah, konnte sie diese Frau nicht umarmen. Khadija hatte das kantige Gesicht der Beduinen aus der Wüste und hielt das schmale Kinn so stolz wie eine Königin – alle ihre Kinder und Enkel besaßen diese Züge, auch Amira van Kerk, denn sie war eine geborene Raschid, und diese Frau war ihre Großmutter.
    Khadija suchte ihren Blick. Der Schleier vor dem Gesicht bewegte sich kaum, als sie sagte: »Du gehörst nicht mehr zu uns, Amira. Du bist Amerikanerin. Und doch trägst du ein islamisches Gewand. Bist du noch eine Gläubige?«
    Amira stockte der Atem. Welch eine Kraft lag in dieser Stimme, die sie in ihren Träumen verfolgt hatte – auch noch während des Exils in den USA , und sie dachte bitter:
Also hat sich im Grunde nichts geändert?
Sie antwortete: »Sechsundzwanzig Jahre war ich für euch tot. Ihr habt mir meinen Namen und meine Identität genommen und mich zu einem Geist unter den Lebenden gemacht. Warum kommst du jetzt zu mir?«
    »Amira, ich bin gekommen, weil mir im Traum ein Engel erschienen ist, und ich weiß, daß ich bald sterben werde. Der Engel hat gesagt, daß mir Gott in SEINER großen Gnade eine letzte Möglichkeit schenkt, um vor meinem Tod die Familie von dem Fluch zu befreien, der auf ihr liegt. Wenn mir das nicht gelingt, dann werden die Raschids in alle Ewigkeit verdammt sein … verdammt bis zum Jüngsten
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