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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies
Autoren: Barbara Wood
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Zimmer, wo ihre Schwiegertochter lag.
    »Tante Fatheja ist in Gottes Händen«, antwortete Khadija freundlich und lauschte auf ein Zeichen, das der Wind ihr geben mochte, der die Fensterläden klappern ließ. Es war der alljährliche Chamsîn. Er kam aus der Wüste und erfüllte die Nacht mit gespenstischen Geräuschen, während er durch Kairos breite Alleen und enge Gassen fegte und das herrschaftliche Haus in der Paradies-Straße in einen feinen Sandschleier hüllte.
    »Aber was hat die Tante?« fragte der Junge seine Großmutter. »Ist sie krank?« Der Dreijährige fürchtete sich, denn er erinnerte sich daran, wie Tante Zou Zou ihm erzählt hatte, daß mit dem Wüstenwind die umherirrenden Seelen der Menschen kamen, die in der Wüste gestorben waren und denen der Weg zum Paradies auf ewig versperrt war. Omar fürchtete, der Wind sei heute nacht gekommen, um seine Tante Fatheja in das Reich der Toten zu holen.
    »Sie bekommt ein Baby. Geh wieder in dein Zimmer und schlaf, mein Junge.«
    Aber Omar wollte nicht schlafen. Er fürchtete sich. Auch wenn seine Großmutter ihn beruhigen wollte, so wußte er doch, daß etwas nicht stimmte. Sonst waren alle fröhlich, lachten und unterhielten sich laut, und er fand überall offene Arme und einen Schoß, wo er verwöhnt wurde. An diesem Abend schien alles wie in einem Alptraum zu sein. Schatten huschten über die Wände, die Messinglampen schaukelten und zuckten, während seine Tanten und die anderen mit Handtüchern und heißem Wasser in das Schlafzimmer eilten und es kurz darauf seufzend wieder verließen. Es roch überall nach Weihrauch. Die Frauen flüsterten nur miteinander, und niemand kümmerte sich um den verängstigten Omar, der unbemerkt seiner Großmutter folgte, als sie das Zimmer betrat, in dem alle Raschids ihre Kinder bekamen. Er sah in einer Ecke die unheimliche alte Quettah, die Astrologin, über ihre Karten und Instrumente gebeugt. Sie bereitete sich darauf vor, im Augenblick der Geburt den Stern des Neugeborenen zu bestimmen. Omar rannte schutzsuchend zu seiner alten Tante Zou Zou, die mit dem aufgeschlagenen Koran in der Hand leise murmelnd betete.
    Zu Khadijas Erleichterung war ihre Schwiegertochter umringt von den Tanten und Frauen, die im Haus lebten. Sie trösteten die erschöpfte Fatheja, betupften ihr die Stirn, gaben ihr zu trinken, beruhigten die werdende Mutter nach besonders heftigen Wehen, und sie beteten. Die eleganten Frauen hatten die seidenen Schleier hochgeschlagen und dufteten nach teuren Parfüms.
    Die Raschids waren eine reiche und vornehme Familie. Zur Zeit waren es dreiundzwanzig Frauen und Kinder im Alter von einem Monat bis zur sechsundachtzigjährigen Zou Zou. Als Schwestern, Töchter und Enkelinnen der ersten Frauen von Ali Raschid waren sie alle miteinander verwandt. Und zu ihnen gehörten auch die Witwen seiner gestorbenen Söhne und Neffen. Nur die Jungen unter zehn Jahren durften nach islamischer Sitte bei den Frauen sein. Nach ihrem zehnten Geburtstag verließen sie die Mutter und lebten im Männerteil auf der anderen Seite. Zur Zeit wohnten dort sieben Männer. Dr. Ibrahim Raschid, Khadijas Sohn, war mit achtundzwanzig das Oberhaupt der Sippe. Die inzwischen zweiundvierzigjährige Khadija herrschte im Frauenteil, dem früheren Harem. Ali Raschids wurde hier noch immer in dem großen Porträt gedacht, das über dem Bett hing: ein großer, untersetzter Mann, der auf einem kostbar geschnitzten Stuhl thronte. Niemand hatte seine große Macht zu seinen Lebzeiten jemals angezweifelt.
    Als Khadija an das Bett trat, spürte sie noch immer die Wirkung ihres Traums. Noch vor wenigen Augenblicken hatte sie in einem Lager in der Wüste gesessen und zu den Sternen aufgeblickt. Wer war die Frau, die sie bei dem Überfall hatte verstecken wollen? Ihre Mutter? Aber warum hatte die Frau sie mit gewisser Ehrerbietung in der Stimme »Prinzessin« genannt? Khadija konnte sich an ihre Mutter nicht erinnern. Sie träumte immer wieder von dem Sternenhimmel dieser Nacht, so daß sie manchmal glaubte, nicht von einer Frau geboren, sondern von einem dieser fernen funkelnden Sterne gekommen zu sein.
    Während sie ihrer Schwiegertochter ein kaltes Tuch auf die Stirn legte, fragte sie sich stumm: Was ist aus der Frau geworden, die das Mädchen so liebevoll an sich drückte? Hat man sie umgebracht? Habe ich sie sterben sehen? War es ein grauenhaftes Blutbad in der Wüste, bei dem alle von den umheimlichen schwarzen Gestalten getötet wurden? Kann ich
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