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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies
Autoren: Barbara Wood
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kleine Tahia. Khadija, ihre Tanten und Cousinen hatten ihr ebenso Beistand geleistet wie diesmal Fatheja. Aber Nefissas Wehen waren nicht so schlimm gewesen. Fatheja mußte sehr leiden, und Nefissa wünschte von ganzem Herzen, daß ihre Schwägerin mit einem Sohn belohnt werden würde.
    Der Wind fegte durch den Innenhof, und Nefissa richtete ihre Aufmerksamkeit wieder nach draußen. Der menschenleere Garten wirkte unheimlich, Sand und Blätter wirbelten um den Brunnen. Sie blickte sehnsüchtig auf die Straße, auf die nur verschwommen erkennbare Straßenlaterne, und ihre Angst wuchs.
    Als Nefissa in ihrem Rücken die besorgten Stimmen der Frauen hörte, fuhr sie zusammen und wollte ihren Platz am Fenster verlassen. Aber in diesem Augenblick näherte sich die schattenhafte Gestalt eines Mannes dem Tor in der Mauer. Der Mann kämpfte gegen den Wind und hatte den Kragen hochgeschlagen, der fast sein Gesicht verdeckte. Nefissa starrte in die Dunkelheit. Ist er es?
    Sie hielt den Atem an.
    Er blieb unter der Laterne stehen, und dann sah sie im Lichtschein undeutlich eine Uniform, die Uniform eines Offiziers, und ihr Herz begann heftig zu schlagen. Er war gekommen! Der Mann richtete seinen Blick auf das dreistöckige Haus, und Nefissa mußte sich zusammennehmen, um nicht laut zu rufen: »Hier bin ich! Hier, hinter diesem Fenster!«
    Geh nicht! Bleib stehen. Vielleicht kommst du nicht noch einmal …
    Plötzlich hob er die Hand über die Augen und blickte auf das Gitter, hinter dem sie saß. Sie zog den Schleier fester, öffnete die kleine Klappe in der Maschrabija und wartete auf das Zeichen, daß er sie entdeckt hatte.
    Vor zwei Wochen saß Nefissa am Fenster ihres Schlafzimmers und blickte gelangweilt auf die Straße. Plötzlich sah sie einen englischen Offizier auf dem Gehweg. Er blieb unter der Straßenlaterne stehen, um sich eine Zigarette anzuzünden, und hob dabei den Kopf. Ihre Blicke trafen sich zufällig, und Nefissas Herz schien stillzustehen. Sie wagte nicht zu atmen, hielt den Schleier regungslos vor das Gesicht, und er sah nur ihre Augen. Der Mann blieb länger als notwendig unter der Laterne stehen und sah sie bewundernd an.
    Danach erschien er jeden Tag gegen ein Uhr mittags und kurz vor Mitternacht. Der britische Offizier blieb unter der Straßenlaterne stehen, blickte zu Nefissas Fenster hinauf, und wenn er sie sah, zündete er sich mit einem Streichholz eine Zigarette an. Er betrachtete sie durch den Rauch, und sie sah seine leuchtend blauen Augen voll Verlangen auf sich gerichtet – dann ging er weiter.
    Obwohl der Wind den großen, schlanken Mann umwehte, gelang es ihm, im Schutz der Hände das Streichholz zu entflammen und die Zigarette anzuzünden. Das war das Zeichen! Er hatte sie gesehen! Ihre Geduld war wieder einmal mit einem kurzen Blick auf sein Gesicht belohnt worden – er war blond, hatte eine helle Haut, und Nefissa fand, er sah besser aus als jeder andere Mann, den sie kannte.
    Wenn sie doch nur den Mut hätte, den Schleier sinken zu lassen. Wenn sie ihn doch nur kennenlernen könnte. Aber das war unmöglich, und es durfte nicht sein! Das Gesetz verlangte von den Frauen zwar nicht mehr, sich in der Öffentlichkeit zu verschleiern, aber Nefissa war Khadijas Tochter, und alle Frauen der Raschids schützten ihre Ehre mit dem Schleier. Nefissa durfte das Haus nur an den Festtagen der Heiligen verlassen oder wenn sie ihre Freundin, Prinzessin Faiza, im Palast besuchte.
    Welche Möglichkeit gab es für sie, ihren Offizier kennenzulernen, in den sie sich Hals über Kopf verliebt hatte?
    Während sie ihn dort draußen beobachtete und er seine blauen Augen auf sie gerichtet hatte, fragte sich Nefissa, was er wohl denken mochte. Staunte er wie die Ägypter, daß der Zweite Weltkrieg endlich vorbei war? Hatte er wie seine britischen Offizierskameraden und alle in Ägypten geglaubt, der Kampf werde noch zwanzig Jahre dauern? Nefissa fand es schön, daß es keine Verdunklung, keine Angst vor Bombenangriffen mehr gab. Sie mußten nicht mehr mitten in der Nacht das Haus verlassen und in dem Luftschutzbunker warten, den ihr Bruder auf dem Gelände hatte errichten lassen, weil es undenkbar war, daß die Raschids in einem der öffentlichen Bunker Schutz suchten. Mußte ihr Verehrer mit den wunderbaren blauen Augen wie alle Briten befürchten, daß nach dem Ende des Kriegs in Kairo die engländerfeindliche Haltung wachsen werde? Die Ägypter würden möglicherweise jetzt den Abzug der Engländer fordern,
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