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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies
Autoren: Barbara Wood
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für mich so etwas wie ein zweites Leben. Amira, erinnerst du dich an den Tag, als wir im Taxi in die Perlenbaum-Straße gefahren sind? Dein Vater hatte dich Hassan versprochen. Als wir vor der Mädchenschule in der Perlenbaum-Straße im Wagen saßen, beschloß ich, das zu verhindern.«
    »Weshalb?«
    »Weil der reiche Kaufmann al-Sabir hieß. Hassan war sein Sohn.«
    Amira schlug die Hände vor das Gesicht. Khadija sprach ruhig weiter: »Gnädigerweise hatte ich keine Erinnerung daran, was in diesem Harem geschehen war, aber ich hatte das Gefühl, daß es in Hassans Familie keine Ehre gab. Deshalb konnte ich auch nicht zulassen, daß er dich heiratete. Wie du weißt, habe ich Ibrahim gezwungen, den Ehevertrag rückgängig zu machen, und deshalb habe ich dich mit Omar verheiratet.«
    Die beiden Frauen sahen sich an und dachten an einen gemeinsam verbrachten Nachmittag, der lange zurücklag.
    Khadija fuhr fort. »Heute verstehe ich, daß das, was mir als Kind widerfahren ist – die Entführung, der Harem in der Perlenbaum-Straße, die Ehe mit Ali –, mich zu dem gemacht hat, was ich bin. Die Raschids sind zu meiner Familie geworden, denn meine eigene Familie wurde damals ermordet, und das Schicksal der Stämme nahm einen anderen Verlauf. Deshalb war ich-hilflos meiner namenlosen Angst ausgeliefert. Ich fürchtete mich, das Haus in der Paradies-Straße zu verlassen, und ich fürchtete mich, den Schleier abzulegen. Ich fürchtete sogar um meine Kinder und Enkel, wenn sie auf die Straße gingen.«
    »Und jetzt kannst du dich wieder an alles erinnern?«
    »Ja, wie durch ein Wunder. Ich weiß, wie meine Mutter ausgesehen hat. Ich kann dir meinen Verlobten beschreiben. Es war Prinz Abdullah. Ich höre sogar die Stimme meiner Mutter, die zu mir sagt: ›Vergiß nie, Tochter meines Herzens, du kommst aus einer Familie von Scherifen, den Nachkommen des Propheten.‹«
    Amira blickte auf den Nil, wo sich die hohen dreieckigen Segel der Feluken schimmernd im ruhigen Wasser spiegelten. Schließlich lächelte sie und sagte: »Umma, ich fahre mit dir nach Kairo.«
     
    Kairo – nach über zwanzig Jahren! Amira staunte über die Veränderungen. Viele der vornehmen alten Häuser waren an internationale Konzerne verkauft worden, die ihre Namenszüge in grellen Leuchtbuchstaben auf die eleganten alten Fassaden geschrieben hatten. Hochhäuser wuchsen in den Himmel, überall wurde gebaut, und das Dröhnen von Preßlufthämmern erfüllte die Luft. Ganze Straßenzüge sahen aus, als seien sie von Bomben zerstört worden. Sie waren mit Maschendraht eingezäunt, und in den tiefen Baugruben dahinter wurden Fundamentpfähle in die Erde gerammt.
    Aber es war immer noch ihr geliebtes Kairo, das viele Jahrhunderte der Invasionen, fremder Besatzungsmächte, Kriege, Seuchen und tyrannischer Herrscher überstanden hatte.
    Der Tahrir-Platz, ein großes Oval wie eine Zirkusmanege, war für den Bau der U-Bahn aufgerissen. Die Einwohner von Kairo waren daran gewöhnt, sich immer neuen Situationen anzupassen. Sie saßen in den Kaffeehäusern oder standen auf den Märkten zusammen und fragten sich, warum diese unselige Hektik von ihrer Stadt Besitz ergriffen hatte, obwohl sie sich im Grunde nur nach gepflegter Langeweile sehnten.
    Das Nil-Hilton wirkte nicht mehr so supermodern wie früher, und Amira mußte an ihre Hochzeit denken. Neben dem Büro von American Express entdeckte sie den Eiscreme-Verkäufer in seinem winzigen Laden, zu dem sie, Jasmina und Tahia und Zacharias, immer gegangen waren. Dann sah sie die Jasminverkäufer in den Straßen, die unter ihren Girlanden beinahe verschwanden, und die Fellachenfrauen, die auf den Gehwegen hockten und wie jedes Jahr im Sommer Maiskolben rösteten.
    Als sie vor dem Haus in der Paradies-Straße vorfuhren, blieb Amira noch einen Augenblick sitzen. Sie mußte ihrer Erregung Herr werden. Wenn ihr Vater krank war, hatte sich die ganze Familie eingefunden. Sie würde die vertrauten Gesichter der Vergangenheit sehen und auch viele neue.
    Khadija schien ihre Gedanken zu lesen. »Für dich ist niemand in diesem Haus ein Fremder, Amira. Sie sind alle Raschids wie du. Wir sind eine Familie und gehören zusammen.«
    Sie trat durch das Tor und glaubte, durch eine Tür in die Vergangenheit zu treten. Nichts hatte sich verändert, der Garten, der Pavillon, die schweren, geschnitzten Türen, alles sah immer noch so aus wie früher.
    Im Haus begegnete ihr als erste Jasmina, die kritisch ein Tablett mit Essen
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