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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies
Autoren: Barbara Wood
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begutachtete, das ein Dienstmädchen offenbar nach oben in den Teil der Männer bringen wollte. Jasmina blickte auf, lächelte Amira an, richtete ihre Aufmerksamkeit jedoch sofort wieder auf den Teller. Plötzlich fuhr ihr Kopf noch einmal hoch, und sie rief: »
Al hamdu lillah!
Ich glaube, ich sehe Gespenster.« Sie wurde leichenblaß. Amira breitete die Arme aus und drückte sie an sich. Beiden stiegen die Tränen in die Augen, aber diesmal waren es Tränen der Freude.
    Oben am Treppenabsatz erschienen neugierige Gesichter und blickten staunend auf Khadija und Amira und Jasmina. Man konnte ihre Verwirrung erkennen, aber Amira sah, wie zuerst einige, dann immer mehr zu lächeln begannen. Im nächsten Augenblick war Amira von bekannten und ihr fremden Frauen umringt. Es gab Lächeln und Tränen. Hände streckten sich ihr entgegen. Alle wollten sie umarmen und berühren, als müßten sie sich davon überzeugen, daß Amira tatsächlich vor ihnen stand.
    Amira entdeckte schließlich Tahia. Sie umarmten sich stumm. »Gepriesen sei Gott!« murmelte Tahia. » ER hat dich zu uns zurückgeführt.«
    »Eigentlich war es Umma«, widersprach Amira und löste sich von ihr. Während alle lachten und sich freuten, dachte Amira daran, was sie später Tahia von Zacharias erzählen mußte. Sie hatte seine letzten Worte nicht vergessen. Sie fragte Tahia: »Wie geht es meinem Vater?«
    »Er ißt nichts, und er trinkt nichts. Er spricht nicht einmal mit uns. Heute ist der Jahrestag des Bombenanschlags … hast du davon gehört?«
    Amira nickte. Der Bombenanschlag, der ihrem Sohn, einem Kellner und zwei Musikern das Leben gekostet hatte. Auch Omar war dabei umgekommen. Das sechste Opfer war Ibrahims Frau gewesen. Mit ihr war das ungeborene Kind gestorben.
    »Es ist schlimm. Er steckt seit über zwei Wochen in einer tiefen Depression. Ich glaube, er will sterben.«
    Amira ging die breite Treppe hinauf und trat in den Salon ihres Vaters. Er kam ihr verblüffend vertraut vor. Wie überall – im Garten, am Pavillon, in der Eingangshalle – hatte sich in diesem Raum seit damals nichts verändert, als die kleine Amira ihren Vater in seinen Zimmern besuchen durfte. Allerdings wirkte es jetzt kleiner und weniger einschüchternd.
    Die Männer, die auf den Sesseln und Diwanen saßen, standen bei Amiras Anblick verblüfft auf. Wieder wurde sie umarmt, diesmal von Onkeln und Vettern. Dann schoben sie Amira in das Schlafzimmer und schlossen hinter ihr die Tür. Amira blieb allein mit dem Kranken im Bett zurück.
    Erschrocken stellte sie fest, wie sehr Ibrahim gealtert war. Sie konnte kaum noch eine Spur des gutaussehenden, vitalen Mannes entdecken, an den sie sich erinnerte. Im Grunde sah er älter aus als Khadija, seine Mutter.
    Amira setzte sich auf die Bettkante und ergriff seine Hand. Als sie ihn berührte, spürte sie, wie alle Ängste, alle Zweifel und aller Zorn von ihr abfielen. Was in der Vergangenheit zwischen ihr und diesem alten Mann vorgefallen war, war vorbei und vergessen. Es hatte sich alles so ereignet, wie es im Buch des Schicksals geschrieben stand. Jetzt wurde die Zukunft in dieses Buch geschrieben, und dieser Zukunft mußten sie sich gemeinsam stellen.
    »Papa«, sagte Amira leise.
    Die papierdünnen Augenlider zuckten. Er starrte einen Moment zur Decke und dann auf Amira. Seine Augen wurden groß vor Staunen.
    »
Bismillah!
Träume ich? Oder bin ich tot? Bist du es, Alice?«
    »Nein, Papa. Ich bin nicht Alice. Ich bin Amira.«
    »Amira? Oh …« Er mußte husten. »Amira? Meine geliebte Tochter? Bist du es wirklich? Bist du zu mir zurückgekommen?«
    »Ja, Papa. Ich bin zurück. Und Tahia sagt mir, daß du nichts essen willst.«
    »Ich bin verdammt, Amira. Gott hat mich verlassen.«
    »Mit Verlaub, Papa, das ist Unsinn. Sieh dich doch um. Sieh dir die Menschen vor deiner Tür an. Glaubst du, alle wären bei dir, wenn Gott dich verlassen hätte? Gott ist bei dir durch deine Familie.«
    »Ich habe Alice in den Selbstmord getrieben, und das kann ich mir nie verzeihen.«
    »Meine Mutter litt an einer Krankheit, die man klinische Depression nennt. Ich weiß nicht, ob einer von uns ihr hätte helfen können.«
    »Ich habe keinen Sohn«, sagte er.
    »Und was ist mit Jasmina und mir? Bedeuten wir dir nichts?«
    »Gott hat mir dich und noch viele Töchter geschenkt, geliebte Amira. Aber Ali, mein Vater, wollte von mir immer einen Sohn.«
    »Es hilft dir bestimmt nicht, hier zu liegen und dich selbst zu bemitleiden, Papa. Es steht
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