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Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5

Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5

Titel: Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5
Autoren: Arthur Conan Doyle
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standen düstere Berichte. Durch meine andauernden Besuche konnte ich mich davon überzeugen, daß es so schlecht nicht um ihn stand. Seine zähe Konstitution und sein unbedingter Wille wirkten Wunder. Er erholte sich schnell, und manchmal hegte ich den Verdacht, er erhole sich schneller, als er selbst mir gegenüber zugab. Dieser Mann hatte einen Hang zu Geheimnistuerei und dramatischen Wirkungen; sogar seinen engsten Freund beschränkte er derart, daß auch der nur Vermutungen in bezug auf seine genauen Pläne anstellen konnte. Er führte den Grundsatz, daß der Urheber eines Plans nur sicher sein könne, wenn er allein plane, ins Extrem. Ich stand ihm näher als irgend jemand anderer, aber ich blieb mir immer der Kluft zwischen ihm und mir bewußt.
      Am siebenten Tag wurden die Fäden gezogen; trotzdem berichteten die Zeitungen am Abend von Rotlauf. Dieselben Abendzeitungen brachten eine Meldung, die ich, koste es, was es wolle, meinem Freund zu übermitteln entschlossen war. Es hieß schlicht, daß sich unter den Passagieren des Schiffes ›Ruritania‹ der Cunard-Linie, das am kommenden Freitag von Liverpool auslief, Baron Adelbert Gruner befinden würde, der in den Staaten ein wichtiges Finanzgeschäft tätigen müsse, ehe er die bevorstehende Hochzeit mit Miss Violet de Merville vollziehe, der einzigen Tochter, etc. etc. Holmes’ bleiches Gesicht wurde beim Anhören der Nachricht kalt und konzentriert, was mir verriet, daß sie ihn hart traf.
      »Freitag!« rief er. »Nur noch drei Tage zum Handeln. Ich glaube, der Schurke sucht sich außer Gefahr zu bringen. Aber das soll ihm nicht gelingen, Watson! Beim Himmel, das soll ihm nicht gelingen! Und jetzt, Watson, möchte ich, daß Sie etwas für mich unternehmen.«
      »Ich bin hier, Holmes, damit Sie über mich verfügen.«
      »Gut, dann verwenden Sie die nächsten vierundzwanzig Stunden darauf, chinesische Töpferkunst eingehend zu studieren.«
      Er fügte keine Erklärung hinzu, und ich forderte keine. Durch lange Erfahrung hatte ich die Weisheit des Gehorchens gelernt. Doch als ich ihn verlassen hatte und in der Baker Street stand, überlegte ich hin und her, wie ich, um alles in der Welt, eine so seltsame Anordnung ausführen sollte. Schließlich fuhr ich zur Londoner Stadtbibliothek am St. James’ Square, trug das Problem meinem Freund Lomax vor, dem Unterbibliothekar, und schied in Richtung meiner Wohnung mit einem ansehnlichen Band unterm Arm.
      Man sagt, daß der Advokat, der sich so sehr in einen Fall hineinkniet, daß er am Montag einen Experten im Zeugenstand befragen kann, vor dem Wochenende bereits alles erbüffelte Wissen wieder vergessen hat. Ich möchte mich hier auf keinen Fall als Fachmann für Keramik aufspielen, auch wenn ich an jenem Abend und in der Nacht, unterbrochen von einer kurzen Ruhepause, sowie am nächsten Vormittag Wissen in mich aufgenommen und Namen im Gedächtnis gespeichert habe. Da erfuhr ich von den Signets der großen Dekorationsmaler, vom Geheimnis der zyklischen Daten, den Marken der Hung-wu und den Schönheiten der Yung-lo, den Schriften von Tang-yin und der Herrlichkeit der Arbeiten aus der primitiven Periode der Song und Yuan. Beladen mit all diesen Informationen, besuchte ich Holmes am nächsten Abend. Er hatte nun das Bett verlassen und saß, den dick bandagierten Kopf in die Hand gestützt, in den Tiefen seines Lieblingslehnstuhls.
      »Wenn man den Zeitungen glaubt«, sagte ich, »liegen Sie im Sterben.«
      »Das«, bemerkte er, »ist genau der Eindruck, den ich erwecken wollte. Wie ist es, Watson, haben Sie Ihre Lektion gelernt?«
      »Ich habe es wenigstens versucht.«
      »Gut. Sie könnten also eine sinnige Unterhaltung über dieses Gebiet führen?«
      »Ich glaube, das könnte ich.«
      »Dann geben Sie mir das Kästchen vom Kaminsims.«
      Er hob den Deckel ab und nahm äußerst vorsichtig einen kleinen Gegenstand heraus, der in feine fernöstliche Seide gehüllt war. Er wickelte ihn aus und brachte eine feine kleine Untertasse von der herrlichsten tiefblauen Färbung zum Vorschein.
      »Sie muß mit Sorgfalt behandelt werden. Eine echte Eierschalen-Keramik aus der Zeit der MingDynastie. Ein kompletter Satz würde den königlichen Schatz kosten – tatsächlich ist zweifelhaft, ob es außerhalb des kaiserlichen Palastes in Pe king einen kompletten Satz gibt. Der Anblick des Stückes könnte einen wirklichen Kenner zum Wahnsinn treiben.«
      »Was soll ich damit
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