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Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5

Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5

Titel: Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5
Autoren: Arthur Conan Doyle
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brachten nicht den leisesten Anflug von Rot auf ihre elfenbeinfarbenen Wangen noch einen Schimmer von Gefühl in ihren abwesenden Blick. Mir fiel ein, was der Schuft mir über posthypnotische Suggestion gesagt hatte. Man konnte wirklich glauben, sie schwebte in einem ekstatischen Traum über der Erde. Doch in ihren Antworten gab es nichts Unbestimmtes.
      ›Ich habe Ihnen geduldig zugehört, Mr. Holmes‹, sagte sie. ›Die Wirkung auf mich ist so, wie ich es vorhergesagt habe. Ich weiß, daß Adelbert, mein Verlobter, ein stürmisches Leben hinter sich hat, das ihm viel bitteren Haß und viele ungerechte Beschimpfungen einträgt. Sie sind nur der Letzte in einer Kette von Leuten, die mir Verleumdungen zutrugen. Vielleicht meinen Sie es gut, obwohl man mir sagte, Sie seien ein bezahlter Agent, der genausogut für den Baron wie gegen ihn arbeiten würde. Ich möchte, daß Sie begreifen: Ich liebe ihn, und er liebt mich, und die Meinung der Welt kümmert mich sowenig wie das Gezwitscher der Vögel dort draußen vorm Fenster. Wenn seine edle Natur auch einmal für einen Augenblick gestrauchelt sein mag – vielleicht bin ich eigens ausersehen, sie auf ihre wahre, lichte Höhe zu heben. Ich weiß nicht so recht‹ – hier sah sie meine Begleiterin an –, ›wer diese junge Dame sein könnte.‹
      Ich wollte schon antworten, als Miss Winter wie ein Wirbelwind losbrach. Wenn man je Flamme und Eis gegeneinanderstehen sah, dann war das bei diesen beiden Frauen der Fall.
      ›Ich werd Ihnen sagen, wer ich bin‹, rief sie und sprang vom Stuhl auf, mit einem von Leidenschaft verzerrten Mund, ›ich bin seine letzte Geliebte, eine von hundert, die er verführt und benutzt und ruiniert und dann auf den Abfallhaufen geworfen hat, und genau das wird Ihnen auch passieren. Ihr Abfallhaufen wird wohl eher das Grab sein, und vielleicht wäre das auch das beste. Ich sage Ihnen, Sie Närrin, Sie heiraten diesen Mann, und er wird Ihr Tod sein. Vielleicht ist es ein gebrochenes Herz, vielleicht ein gebrochenes Genick – aber er schafft Sie, auf die eine oder andere Art. Ich sage das nicht, weil ich Sie vielleicht mag. Ob Sie leben oder sterben, ist mir schnurzpiepe. Mir geht’s nur darum, ihn zu kränken, ihm heimzuzahlen, was er mir angetan hat. Aber abgesehen davon, brauchen Sie mich gar nicht so anzusehen, meine feine Dame, denn vielleicht sind Sie dreckiger dran als ich, wenn er mit Ihnen fertig ist.‹
      ›Ich würde es vorziehen, solche Dinge nicht zu hören‹, sagte Miss de Merville kalt. ›Lassen Sie mich ein für allemal erklären, daß ich von drei Frauen weiß, die sich meinem Verlobten mit Absichten genähert haben, und ich bin sicher, daß er von Herzen das Böse bereut, das er ihnen möglicherweise angetan hat.‹
      ›Drei Frauen!‹ schrie meine Begleiterin. ›Sie Närrin! Sie unsägliche Närrin!‹
      ›Mr. Holmes, ich bitte Sie, die Unterhaltung zum Ende zu bringen‹, sagte die eiskalte Stimme. ›Ich beugte mich dem Wunsch meines Vaters, mich mit Ihnen zu treffen, aber ich bin nicht verpflichtet, mir das Wüten dieser Person anzuhören.‹
      Miss Winter sprang mit einem Fluch vor, und: hätte ich sie nicht am Handgelenk zu fassen bekommen, wäre sie der sie rasend machenden kommen, wäre sie der sie rasend machenden Frau in die Haare gefahren. Ich zerrte sie zur Tür und war froh, als ich sie wieder in der Droschke hatte, ohne daß öffentliche Aufmerksamkeit erregt worden war, denn sie war außer sich. Mich selbst hatte eine kalte Wut erfaßt, Watson; die ruhige Gleichgültigkeit und die übersteigerte Selbstgefälligkeit der Frau, die wir zu retten gekommen waren, hatte mich unbeschreiblich verdrossen. Nun wissen Sie wieder genau, wo wir stehen, und es ist klar, daß ich mir eine neue Eröffnung einfallen lassen muß, denn dieses Gambit hat nicht geklappt. Ich halte mit Ihnen Verbindung, Watson, denn es ist mehr als wahrscheinlich, daß Sie noch Ihre Rolle in diesem Stück spielen werden, wenn es auch durchaus möglich ist, daß die Gegenseite den nächsten Zug macht.«
      Und so war es denn auch. Sie schlugen zu, oder besser: er schlug zu, denn ich kann mir nicht vorstellen, daß er sie eingeweiht haben sollte. Ich könnte Ihnen genau den Pflasterstein zeigen, auf dem ich stand, als mein Blick auf das Plakat fiel, und der Schreck traf mich schmerzlich und tief in der Seele. Es war zwischen dem Grand-Hotel und Charing Cross Station, wo der einbeinige Zeitungshändler die Abendausgabe
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