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Das Netz im Dunkel

Das Netz im Dunkel

Titel: Das Netz im Dunkel
Autoren: V.C. Andrews
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Durchmesser, und jedes einzelne ihrer zahlreichen Fenster war aus Bleiglas, auf dem Szenen dargestellt wurden, die die Engel des Todes und des Lebens zeigten.
    Im Haus und im Garten wuchsen überall Farnkräuter. Es gab auch noch andere Pflanzen, aber der Farn schien alle Feuchtigkeit an sich zu ziehen, so daß die meisten schon nach kurzer Zeit eingingen.
    Heimlich und leise spielte ich in der großen Eingangshalle meine kleinen, einsamen Spielchen. Das bunte Glas der Doppeltür am Eingang warf Muster auf den Boden. Manchmal waren es messerscharfe Farben, die inmein Gehirn drangen und dort Löcher hinterließen. Dann hatte ich noch die kleinen Verse, die Vera mir beigebracht hatte. Ich sagte sie auf, damit sie mich vor den Farben beschützten:
    Wenn du dem Schwarz trittst auf die Mitte, lebst du für immer in ärmlicher Hütte. Wenn du aber trittst auf Grün, wirst nie in Sauberkeit du blüh’n. Wenn du statt dessen trittst auf Blau, macht schwere Arbeit dir dein Leben grau. Wagst du dafür auf Gelb den Tritt, spielt dir das Schicksal übel mit. Trittst schließlich du auf Purpurrot, bedeutet das den frühen Tod.
    Um nun nicht auf irgendeine Farbe treten zu müssen, schlich ich mich an den Wänden entlang, hielt mich im Schatten, lauschte auf die Uhren, die die falschen Zeiten angaben, und die albernen Kuckucke, die des Nachts verrückt spielten. Wenn ein kräftiger Wind blies, klapperten die Fensterläden, und die Böden knarrten, der Ofen im Keller hustete, spuckte und stöhnte, und die Mobiles in der Kuppel klingelten, klingelten.
    Doch bei Tage fühlte ich mich in unserem Haus wie Alice in einem Haus aus Edelsteinen. Überall hingen ArtDeco-Lampen, und Kunstgegenstände standen herum. Tiffany-Lampen warfen noch mehr Farben und Muster an die Wände. Kristallzapfen hingen von Lampenschirmen herunter, von Kerzenhaltern und Gaslampen, fingen Farben ein, leuchteten in allen Regenbogenfarben, wenn sich ein Sonnenstrahl durch die Spitzenvorhänge ins Haus stahl.
    In jedem Zimmer hatten wir einen Kamin. Es gab acht aus Marmor, viele aus elegant geschnitztem Holz, aber nicht einen aus Ziegelsteinen. Ziegelsteine waren nichtelegantgenugfürunserHaus,dasEinfachheitzu verabscheuen schien.
    Die Decken waren hoch und kunstvoll geschnitzt. Sie bildeten den Rahmen für biblische oder romantische Szenen. In den alten Tagen hatten die Menschen, so erschien es zumindest meinen jungen Augen, entweder zu viel oder zu wenig an. Ich staunte darüber, daß die biblischen Szenen gewöhnlich mehr Fleisch zeigten als die Bilder, auf denen die Menschen entschieden böse waren.
    Man konnte kaum glauben, daß diese halbnackten Menschen ernsthaft versuchten, Gott zu folgen.
    Nackte Busen von eindrucksvoller Größe stachen kühn in jedem Zimmer unseres Hauses hervor–mit einer Ausnahme, und das war in meinem Zimmer. George Washington und Thomas Jefferson und noch ein paar tote Präsidenten beäugten Tag für Tag die nackte Dame, die auf einem Sofa lag und sich für alle Zeiten Trauben in den offenen Mund fallen ließ. Nackte Babys flogen umher und schossen Pfeile ab. Die Männer verbargen ihre Nacktheit immer bescheiden hinter einem strategisch gut plazierten Blatt oder einem fließend drapierten Stück Stoff. Die Frauen waren nicht so geschickt, das zu verbergen, was sie hatten, dachte ich oft, wenn ich sie ansah. Sie blickten schüchtern, handelten aber kühn. Eines Tages war Tante Elsbeth hinter mich getreten und hatte verbittert erklärt, daß es nur natürlich sei, daß die Künstler die nackte, weibliche Gestalt ›ausbeuteten‹, da die meisten Maler Männer seien. »Beurteile die Frauen nicht nach dem, was du auf Gemälden und als Statuen siehst. Beurteile sie nur danach, was du selbst über die Frauen weißt, die in deinem Leben eine Rolle spielen. An dem Tag, an dem jeder Mann jede Frau versteht, wird die Welt untergehen. Männer sind hassenswerte Geschöpfe. Sie sagen, sie wünschen sich Göttinnen, die sie auf ein Podest erhebenkönnen. Wenn sie sie erst einmal dort haben, reißen sie ihr den Heiligenschein herunter, zerreißen ihre Gewänder und entfernen die Flügel, damit sie nicht mehr fliegen kann. Und dann treten sie das Podest fort, so daß die Frau ihnen zu Füßen fällt und die Männer aufschreien können, während sie sie treten oder–noch Schlimmeres mit ihnen tun.«
    Wenn man meine Tante so reden hörte, hätte man meinen können, sie wäre mindestens ein dutzendmal verheiratet gewesen, und tausend Männer hätten
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