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»Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition)

»Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition)

Titel: »Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition)
Autoren: Egon Bahr
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Mode.
    *
    Jeder Mensch ist eitel. In der Welt der Kunst und der Politik, wo öffentliche Wirkung verlangt und gemessen wird, findet sich diese Eigenschaft viel ausgeprägter als in der Wirtschaft, wo sympathische Einzelne sie sogar verbergen wollen. Ich gestehe also meine Eitelkeit: Ich genoss den unmittelbaren Zugang zum Chef. Mir schmeichelte, dass Brandt, Heinrich Albertz, der Bundessenator Klaus Schütz und ich schon bald als die »Heilige Familie« tituliert wurden. Außerdem registrierte ich, dass Senatoren, bei denen der Journalist nur schwer einen Termin bekommen hatte, anriefen oder dass Chefredakteure nach meiner Einschätzung fragten, die sie vertraulich zu behandeln versprachen. Es war höchst angenehm, wenn »mein« Fahrer, der bald zu einem Teil der Familie wurde, mich abends zum Frisör fuhr, weil der Dienst das während der Öffnungszeiten gar nicht mehr zuließ. Ich konnte länger arbeiten, wenn meine Frau abgeholt wurde. Es ist praktisch, keinen Parkplatz suchen zu müssen und nach einer Veranstaltung sofort abfahren zu können. Der Öffentliche Dienst bezahlt nicht gut, aber für seine höheren Dienstgrade bietet er einen hervorragenden Service.
    Das alles wurde bald zu einer Selbstverständlichkeit, die ich fast 35 Jahre lang genoss. Ich gestehe im Rückblick fast kindlich eitle Machtgefühle, über Geld verfügen zu können. Es waren vom Abgeordnetenhaus mir anvertraute Mittel. Ich konnte Anträge genehmigen oder ablehnen und wichtige Projekte auf den Weg bringen. Die Macht des Geldes kann gestalten. Wie ungleich größer politische Macht ist, die das Zusammenleben von Völkern verändern kann, lernte ich erst später.
    Macht und Eitelkeit sind Zwillinge. Es schmeichelte Brandt, dass ein Polizist in New York vor dem »Mayor« salutierte, obwohl er murmelte: »Nicht mal hier kann man anonym bleiben.« In Berlin stellte ich jedoch beschämt fest, dass dem »Regierenden« seine Stellung so selbstverständlich geworden war, dass er keine Anzeichen von Eitelkeit mehr zeigte. Dieses Stadium lag schon hinter ihm.
    Zu Geld hatte Brandt privat ein eigentümlich distanziertes wie souveränes Verhältnis. Ich habe nie ein Portemonnaie in seiner Hand gesehen. In einem Stammlokal verfügte er, die Rechnung solle ins Rathaus geschickt werden. Vor einer Reise nach Amerika fragte er, ob ich ihm nicht einen Redeauftritt gegen Honorar besorgen könnte. Er könne dann Rut mitnehmen. Der Hinweis, die britische Regierung bezahle sogar für ihre höheren Beamten die Mitreise ihrer Frauen, überzeugte ihn nicht. Sein Wunsch konnte durch unsere Public-Relations-Firma erfüllt werden, die mit kleinem Budget und großem Anspruch Berlin in Amerika vertrat.
    Deren Chef Roy Blumenthal hatte vorher für die Bundesregierung gearbeitet und die Zusammenkunft Adenauers mit David Ben-Gurion im Waldorf-Astoria in New York organisiert. Brandt und ich hatten uns vorher gegenseitig überzeugt, dass die Ausgabe von 500 000 Dollar für diese Agentur zu verantworten wäre. Wir haben es nicht bereut. Roy war als Liberaler zu der Auffassung gekommen, die Zukunft der Bundesrepublik werde zwischen ihren beiden Großtalenten Brandt und Strauß entschieden. Es läge im Interesse Amerikas, den Berliner Bürgermeister zu unterstützen. Also arrangierte er eine Einladung der Harvard-Universität für zwei Vorlesungen im Herbst 1962 und einen anschließenden Besuch im Weißen Haus. Dort trug Brandt seine schon in Harvard vorgestellten Überlegungen zur »Koexistenz als Zwang zum Wagnis« vor, die darauf zielten, den Begriff des Friedens nicht dem Osten zu überlassen. Kennedy, der die Lectures inzwischen kannte, ermutigte ihn. Washington habe es satt, dass Bonn ständig blockiere, ohne eigene Vorschläge zu machen.
    Als »Regierender« musste sich der bescheidene Brandt sehr wohl mit Finanzen beschäftigen. Nach dem Bau der Mauer musste er noch genauer rechnen. Nachdem die großen Firmen ihre Zentralen aus Angst in den Süden und Westen der Bundesrepublik verlagert hatten, reichten die Steuereinnahmen Berlins gerade, um die Beamten und Angestellten zu bezahlen. Alles, was darüber hinausging und das Leben einer Stadt erst ausmacht, vom Bauen bis zu den kulturellen Einrichtungen, musste aus Bonn kommen. Und Bonn bezahlte, mit Notopfern und Steuervergünstigungen.
    Wir sahen es gerne, dass Axel Springer die Vergünstigungen nutzte und für seinen Zeitungskonzern ein imposantes Hochhaus an der Mauer errichtete. Der Zuzug junger Menschen, die der
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