Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
»Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition)

»Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition)

Titel: »Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition)
Autoren: Egon Bahr
Vom Netzwerk:
Parteiorganisation im »Reich« verhinderte, von dem noch alle sprachen, nachdem die Potsdamer Konferenz Deutschland nicht geteilt hatte. Bundespräsident Theodor Heuss bezeichnete es als unverlierbares Verdienst Schumachers, den Einbruch totalitärer Ideologie aufgehalten zu haben. Schumacher fand sich in seinem Zweifel bestätigt, ob »die Leute in Berlin Handlungsfreiheit behalten würden«, nachdem Moskau KPD und SPD zur SED verschmelzen ließ. Ernst Lemmer, Stellvertreter Jakob Kaisers, urteilte, etwas später sei es der CDU ebenso mit ihren Antipoden Kaiser und Adenauer ergangen. Im Misstrauen gegenüber den Berlinern trafen sich beide – ein kleiner deutscher Beitrag zur deutschen Spaltung, für die Mächtigere verantwortlich waren.
    Schumacher war ein selbstbewusster Deutscher. Der Stolz des befreiten Kämpfers gegen die Nazis, mit dem er gegenüber den Vier Mächten deutsche Interessen vertrat, ließ ihn eine an Schroffheit grenzende unbedingte Sprache finden, die einem Gleichen unter Gleichen, dem Vertreter eines souveränen Landes zukam, was wir ja nun wirklich nicht waren. Das klang in manchen ausländischen Ohren nationalistisch, jedenfalls unvergleichbar mit der Sprache Adenauers, die Schumacher verächtlich »anpasserisch« nannte. Ich begann diesen Mann zu verehren, der sich nicht mehr ohne Hilfe bewegen konnte und dennoch, als ahnte er, wie wenig Zeit ihm blieb, rücksichtslos gegen sich selbst leidenschaftlich für seine Ziele kämpfte.
    Außerdem hatten mich drei Jahre in Bonn überzeugt, dass die SPD die einzige Partei war, die ehrlich die Vereinigung unseres Landes zur Priorität ihrer Politik gemacht hatte. Also wollte ich Mitglied werden. Aber Schumacher riet ab: Ihm sei es lieber, wenn ich bei dem schon damals virulenten Quotendenken im Rundfunk nicht den Sozialdemokraten angerechnet werden könne.
    Den zähen Wahlkampf Willy Brandts gegen Franz Neumann um den Parteivorsitz in Berlin hatte ich von Bonn aus verfolgt und ihn lose kennengelernt. Er galt als junger Mann des »großen Bürgermeisters« Ernst Reuter. Beide hatten das »Reich« aus der Emigration untergehen sehen. Beide waren amerikageneigter als die Führung der SPD in Bonn. Beide waren weltläufiger, als es Schumacher sein konnte. Nachdem ich Anfang 1953 RIAS-Chefredakteur geworden war, traf ich Reuter mehrfach. Wir erörterten die fühlbaren Spannungen zwischen ihm und der SPD-Führung in Bonn in Fragen der Außenpolitik. Ich gewann den Eindruck, dass er für meine Anregung, sich um den Vorsitz der Partei zu bemühen, offen war. Die Verabredung, unser Gespräch fortzusetzen, wurde gegenstandslos, als er plötzlich im Herbst 1953 starb.
    Danach wurde Brandt für mich fast wie ein »Mister Berlin«, nicht durch den Inhalt seiner Bundestagsreden, aber durch den modernen Stil seiner Sprache, die nicht nach Parteichinesisch klang. Das war ein Mann, der den Blick auch nach Osten zu richten wusste, während die Bonner zunehmend westwärts dachten und handelten. Erneut wollte ich mich um eine Mitgliedschaft in seiner Partei bewerben. Um seine Meinung zu hören, verabredete ich mich mit ihm im Bundestagsrestaurant. »Nach allen Erfahrungen, die ich in Bonn gemacht habe, ist das die einzige Partei, die die Einheit wirklich will«, begründete ich meinen Wunsch. Er bremste meinen Eifer: »Sie überschätzen die Einflussmöglichkeiten durch Parteieintritt.« Zuweilen könne man durch Stellungnahmen von außen mehr erreichen als von innen. So war ich zum zweiten Mal abgewiesen worden.
    Die Eintrittskarte
    Nach Schumachers Tod 1952 wurde die Wahl seines Stellvertreters Erich Ollenhauer zu seinem Nachfolger als Übergang empfunden. Der ehrliche Demokrat, der aus der Emigration in London zurückgekehrt war, bedeutete keine Gefahr für Adenauer. Die Union plakatierte »Auf den Kanzler kommt es an«. Die Sozialdemokraten setzten dagegen: »Ollenhauer statt Adenauer«, was für Adenauer warb. Ein Ende seiner Ära schien Mitte der fünfziger Jahre nicht absehbar. In der Union mendelte sich kein Nachfolger heraus, und über Ludwig Erhard, den Vater des Wirtschaftswunders, leistete sich Adenauer das Urteil: »Nun nageln Sie mal einen Pudding an die Wand.«
    Für die SPD nach Ollenhauer wurden vier Namen gehandelt: Carlo Schmid, der das Grundgesetz geprägt hatte, der Fraktionsvorsitzende Fritz Erler und dann in der Reihenfolge ihres Alters zwei Namen, die für die Bonner Journalisten noch nicht auffällig geworden waren: Brandt und Schmidt. Erler
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher