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Das Monster von Bozen

Das Monster von Bozen

Titel: Das Monster von Bozen
Autoren: Burkhard Rüth
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Hühnchen gegessen. Ich dachte, das ist, weil er sich auf das Tiramisu freut, aber von wegen!«
    Vincenzo mochte es gar nicht, wenn seine Mutter ihn Vince nannte, er war überhaupt kein Freund von Spitznamen. Wofür hatte man einen richtigen, vollwertigen Namen? Und das »Hühnchen«, von dem seine Mutter sprach, war kein Hühnchen, sondern ein ausgewachsenes Huhn, ein regelrechtes Monstervieh. »Mama, ich bin einfach nur satt, und nenn mich nicht immer Vince. Du kannst mir das Tiramisu gerne einpacken, ich esse es heute Abend.«
    Sein Vater, Piero Bellini, und seine Mutter, Antonia, betrieben in der Altstadt, wenige hundert Meter von der Questura entfernt, eine Trattoria mit Außengastronomie. Unter der Woche öffneten sie erst um vierzehn Uhr, und so konnte sich Vincenzo mittags manchmal kulinarisch verwöhnen lassen. Dafür half er abends gelegentlich in der Küche aus, wenn besonders viel los war. Er war ein Familienmensch, auch wenn ihm seine Traumfrau scheinbar noch nicht begegnet war. Zwar war er seit gut einem Jahr mit Gianna zusammen, aber es schien nicht zu passen. Ihre Lebensziele waren einfach zu unterschiedlich.
    Er wollte unbedingt Kinder, mindestens zwei, immerhin war er achtunddreißig. Sie wollte keinesfalls welche, sie mochte ihren Karrierepfad nicht verlassen. Die Arbeit als Anwältin in der Kanzlei ihrer Eltern in Mailand machte ihr Spaß, sie hatte dort beste Entwicklungschancen. Kinder passten nicht in dieses Konzept und das, obwohl sie bereits sechsunddreißig war. Sie liebte exotische Reiseziele, er hingegen war der Meinung, seine Heimat biete ihm genug, vor allem ein unerschöpfliches Repertoire an Bergtouren. Gianna fand Bergsteigen total langweilig, sie verausgabte sich lieber in ihrem Mailänder Fitnessstudio. Bergwandern sei ein Altherrensport, hatte sie abfällig angemerkt, bevor sie das erste Mal widerwillig mit Vincenzo auf Tour ging. Nach fünfzehn Kilometern und tausend Metern Anstieg begriff sie, dass dies eine Fehleinschätzung war. Sie war so erschöpft, dass sie schon auf der Rückfahrt im Auto einschlief.
    Es waren nicht bloß diese Gegensätze. Vincenzo kam auch nicht dagegen an, dass ihn das weibliche Geschlecht magisch anzog. Frauen faszinierten ihn nun mal. Mitunter reichte eine flüchtige Begegnung auf der Straße. In seiner Zeit als Ispettore in Brixen hatte er in einem Fall mehrfach eine attraktive Frau wegen unerlaubter Prostitution zu verhören. Es war ihm schwergefallen, sich auf sachliche Fragen zu beschränken, zumal seinem Gegenüber Vincenzos Nervosität keineswegs verborgen geblieb war. Ihr hatte es Spaß gemacht, mit ihren Reizen und ihrer Wirkung zu kokettieren. Er war heilfroh, als er das letzte Verhör überstanden hatte.
    Aber Gianna war nach seiner Jugendliebe Theresa seine erste ernsthafte Beziehung, und er wusste, dass er sich bei ihr keine Eskapaden erlauben durfte. Zumal Gianna alles hatte, was ihn bei einer Frau anmachte. Das erging ihr umgekehrt nicht anders. »Du bist genau mein Typ«, hatte sie ihrem athletischen Vincenzo mit den kurzen, fast schwarzen Haaren und den hellbraunen Augen nicht nur einmal gesagt.
    Antonia riss ihn aus seinen Gedanken, als sie mit drei Espressi an den Tisch kam. »Habt ihr euch eigentlich Gedanken gemacht, was wir Erika zum Geburtstag schenken können?«
    »Das ist nicht schwierig. Schenkt ihr einen Essenskorb mit Südtiroler Spezialitäten. Vergesst nicht ihre heiß geliebte Bergblütencremesuppe. Abends könnt ihr ausgiebig für sie und Rudolf kochen. Sie lieben das.«
    Erika und Rudolf waren Vincenzos Tante und Onkel mütterlicherseits. Sie wohnten in Nürnberg. Tante Erikas Geburtstage feierten sie gerne in Bozen, um die Familie zu sehen und die Südtiroler Küche zu genießen. Weil sie nicht gerade im Geld schwammen, quartierten sie sich dann bei Vincenzo in seiner geräumigen Wohnung in Sarnthein ein. Er mochte die beiden zwar gern, schätzte es allerdings gar nicht, wenn ihm jemand seinen Haushalt durcheinanderbrachte. Aber Antonia, seine Mutter, hatte ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie ihrer Schwester gegenüber verpflichtet sei. Mama war verpflichtet, aber er musste die Tante unterbringen – was für eine bemerkenswerte Logik.
    Wenig später schlenderte Vincenzo zurück in die Questura und dachte dabei voller Vorfreude an das übernächste Wochenende. Hans Valentin hatte eine neue Tour geplant, wieder eine echte Herausforderung: die Besteigung des Schneebiger Nock in der Rieserfernergruppe
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