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Das mittlere Zimmer

Das mittlere Zimmer

Titel: Das mittlere Zimmer
Autoren: Inge Lempke
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als auch Kai für ihr Alter viel zu klein und dünn geraten seien. Rike und Cousine Alexandra nickten nur mit dem Kopf und sagten nichts dazu.
    Nach dem Mittagessen machten alle einen langen Spaziergang durch die Umgebung, wobei ihre Mutter und Achim einen möglichst großen Abstand voneinander einhielten - sie waren sich nicht besonders zugetan. Man sprach über das Haus und die Umbauarbeiten und saß gegen halb vier am mit Osterglocken, Tulpen und Primeln geschmückten Küchentisch, um Kaffee zu trinken und Kuchen zu essen.
    Rike war die ganze Zeit über so beschäftigt, dass sie erst, nachdem sie im Bett lag, darüber nachdachte, woher das Zeit-Phänomen wohl kommen mochte. Und kurz bevor sie einschlief, schoss ihr das Wort ,Keller‘ durch den Kopf.
    Am nächsten Morgen, Ostermontag, fühlte sie sich gut, weil sie sich möglicherweise einfach auf den Besuch von Dr. Wolter und seiner Frau freute.
    Gegen halb drei zog sie sich ein kurzes Kleid mit verspieltem Blumenmuster an und deckte in der Küche den Tisch. Kurz nach vier trafen die Wolters ein und brachten einen dicken Strauß leuchtend gelber Osterglocken aus dem eigenen Garten mit. Sie waren zu Fuß gekommen, und Dr. Wolter schnaufte ein wenig kurzatmig, als er seine braune Lederjacke auszog. „Jetzt ist mir aber ordentlich heiß geworden!“
    „Ja, es ist viel zu warm für die Jahreszeit , das wird nicht lange anhalten“, warf seine Frau ein, die ihre Jacke über dem Arm und zur Feier des Tages eine weiße Rüschenbluse trug. Beim Friseur schien sie auch gewesen zu sein.
    Über das Wetter plaudernd, begab man sich in die Küche, ließ sich den frischen A pfelkuchen schmecken und trank Kaffee bis auf Dr. Wolter, der seinem angeschlagenen Magen zuliebe auf Tee umgestiegen war.
    Während des Essens erzählte Dr. Wolter Anekdoten aus seinem Praxisalltag, über einen Hund zum Beispiel, der beinah an seinem Spielzeugball erstickt wäre, oder das Pferd, das schei nschwanger war. Seine Bernsteinaugen hinter der Riesenbrille lächelten, seine kräftigen Hände gestikulierten. In diesem Moment sah er trotz der vielen grauen Strähnen im ehemals hellblonden Haar viel jünger aus, als er wahrscheinlich war.
    Seine Frau wirkte zurückhaltender, ließ ihn reden und aß stattdessen noch ein Stückchen K uchen. Und einmal fing Rike einen erschöpften Blick aus ihren ungeschminkten, fast schwarzen Augen auf, der sie irritierte. Als der Doktor eine Pause machte, um ein paar Schlucke Tee zu trinken, begann Frau Wolter flugs davon zu erzählen, wie sie in der Praxis mithalf und den großen Gemüsegarten hinter dem Haus bestellte, was vermutlich ihre nicht ganz sauberen Fingernägel erklärte.
    Der Doktor hörte den Ausführungen seiner Frau mit interessiertem G esichtsausdruck zu und nickte hin und wieder mit dem Kopf.
    Als Frau Wolter fertig war, ergriff Achim das Wort. Des Doktors gewaltige Brille schien ihm den Seelenfrieden zu rauben, er musste etwas dazu sagen und versuchte diplomatisch anzudeuten, dass die riesige Brille gerade erst vor ein paar Jahren aus der Mode gekommen sei.
    „Wir haben bei uns im Geschäft jede Menge Brillen, die zehnmal vorteilhafter an Ihnen au ssehen würden als die hier. Wenn Sie in der Stadt sind, schauen Sie doch einfach mal unverbindlich rein, ich berate Sie gern.“ Achim, der unverbindliche und unverbesserliche Geschäftsmann.
    Der Doktor schmunzelte, ging auf das Angebot nicht ein, sondern sprach ein Thema an, das Achims Stimmung nicht wesentlich verbesserte. „Macht es sich eigentlich am Umsatz b emerkbar, dass sich immer mehr Leute die Augen lasern lassen und keine Brille mehr brauchen?“
    Rike beobachtete Achim genau, der leger in Jeans, Hemd und Pullover gekleidet am Küche ntisch saß. Seine Lippen wurden dünner, sein Blick bekam etwas Angriffslustiges, und Rike beschloss einzugreifen.
    „Gehen wir doch ins Wohnzimmer, da sitzt man gemütlicher. Und da könnt ihr lang und breit über das Thema diskutieren, wenn ihr wollt.“
    Rike stand einfach auf, und fast automatisch erhoben sich auch Achim und die beiden Wolters.
    „Bin ich etwa ins Fettnäpfchen getreten? Das wollte ich nicht,“ versicherte der Doktor und ließ eine zerknirschte Miene sehen.
    Achim lächelte höflich, ging in den Flur und meinte: „Wo wir jetzt schon hier sind, können wir uns doch gleich mal das ganze Haus ansehen, oder?“
    „Ja, gerne.“ Wolter folgte Achim langsam und ein wenig steif in den Knien die Treppe hinauf ins obere Stockwerk.
    Da auch
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