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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid
Autoren: Terry Pratchett
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Ohne ihn anzusehen sagte sie leise: »Ich danke der Kelda für ihren Rat. Aber die Arbeit wartet, Rob. Und vergiss nicht, der Kelda meinen Dank auszurichten!«
    Die meisten Zuschauer hatten sich inzwischen im Zielraum eingefunden, die einen, um zu gaffen, die anderen, um den laut jammernden Käseläufern mit laienhaften Mitteln Erste Hilfe zu leisten. Aber für alle war es ein spannender Zeitvertreib. So einen eindrucksvollen Haufen aus Männern und Käsen bekam man schließlich nicht alle Tage zu sehen. Und womöglich waren da ja auch noch ein paar wirklich interessante Verletzungen zu bestaunen.
    Tiffany, die froh war, helfen zu können, brauchte sich nicht erst lange zu den Opfern durchzukämpfen. Vor dem spitzen schwarzen Hut teilte sich die Menge schneller als die Fluten eines seichten Meeres vor einem heiligen Mann. Zuerst verscheuchte sie die Schaulustigen, wobei sie den Begriffsstutzigeren unter ihnen mit ein paar Rippenstößen nachhelfen musste. Zum Glück war das Gemetzel in diesem Jahr nicht allzu blutig ausgefallen: nur ein gebrochener Arm, ein gebrochenes Handgelenk, ein gebrochenes Bein und jede Menge Schrammen, Beulen und Schürfwunden, die bei der Schlitterpartie am Hang entstanden waren – Gras ist nicht unbedingt jedem Menschen grün. Mehreren jungen Männern, die offenbar große Schmerzen litten, aber nicht willens waren, ihre Verletzungen mit einem weiblichen Wesen zu erörtern, gab Tiffany den Rat, die betroffenen Stellen zu Hause mit kalten Umschlägen zu behandeln, und sah ihnen nach, wie sie krummbeinig davonwackelten.
    Tiffany konnte mit sich zufrieden sein. Unter den neugierigen Blicken der Menge hatte sie ihr Können unter Beweis gestellt und sich – nach allen Bemerkungen, die sie ringsum aufschnappte – durchaus achtbar geschlagen. Vielleicht war es nur Einbildung, dass ein, zwei Leute ein verlegenes Gesicht machten, als ein alter Mann, dem der Rauschebart bis zur Hüfte hing, mit einem Grinsen zu ihr sagte: »Ein Mädel, das Knochenbrüche richten kann, kriegt bestimmt noch einen Kerl ab«, aber das ging vorbei. Als es nichts mehr zu gaffen gab, stiegen die Menschen den Hügel langsam wieder hinauf … Doch dann fuhr die Kutsche vorbei und – was noch viel schlimmer war – hielt an.
    An der Tür prangte das Wappen der Familie Souvenir. Ein junger Mann stieg aus, auf seine Art nicht unansehnlich, aber so steif, dass man auf ihm Hemden hätte bügeln können. Das war Roland. Er war erst einen Schritt weit gekommen, als eine scharfe Stimme aus dem Inneren der Kutsche hinter ihm herschnarrte, was ihm denn einfalle, den Wagenschlag selbst zu öffnen. Für so etwas habe man schließlich Lakaien. Außerdem solle er sich gefälligst sputen, man habe ja nicht den ganzen Tag Zeit.
    Der junge Mann hastete auf die Dorfbewohner zu, die sich eilig den Staub von der Kleidung klopften. Immerhin war er der Sohn des Barons, dem der größte Teil des Kreidelands und darin fast jedes Haus gehörte. Obwohl der Baron ein durchaus väterlicher Landesvater war, konnte es sicher nicht schaden, seiner Familie etwas Höflichkeit entgegenzubringen …
    »Ist etwas passiert? Hat sich jemand verletzt?«, fragte Roland.
    Im Kreideland war das Verhältnis zwischen Herrn und Untertanen in aller Regel von gegenseitigem Respekt geprägt. Trotzdem wusste das Bauernvolk aus Erfahrung, dass es gegenüber der Obrigkeit klüger war, mit seinen Worten sparsam umzugehen, weil manchmal jedes Wort schon ein Wort zu viel sein konnte. Schließlich gab es immer noch eine Folterkammer auf der Burg, auch wenn sie seit Jahrhunderten nicht mehr benutzt worden war. Deshalb hielt man sich vorsichtshalber zurück und überließ das Reden lieber der Hexe. Die konnte immerhin wegfliegen, wenn es brenzlig wurde.
    »Nur ein kleiner Unfall, der sich leider nicht verhindern ließ«, antwortete Tiffany, und sie war sich durchaus bewusst, dass sie als Einzige der Frauen keinen Knicks gemacht hatte. »Einige gebrochene Knochen, die bald wieder zusammenwachsen werden, und ein paar rote Köpfe. Danke der Nachfrage, wir kommen schon klar.«
    »Verstehe, verstehe. Gut gemacht, junge Dame.«
    Einen Augenblick lang glaubte Tiffany, ihre Zähne schmecken zu können. Junge Dame? So musste sie sich von ihm anreden lassen? Mit ein bisschen bösem Willen hätte man es auch als Beleidigung auffassen können. Doch offenbar störte sich außer ihr niemand daran. So redeten die hohen Herrschaften nun mal, wenn sie versuchten, sich umgänglich und leutselig
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