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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid
Autoren: Terry Pratchett
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wenn Sie eine Hexe schlagen?«
    Diese Hexe hier würde wahrscheinlich tot umfallen, wenn sie sich von dir einen Hieb einfängt, dachte sie. Deshalb muss ich dafür sorgen, dass du vor lauter Angst gar nicht erst dazu kommst.
    »Haben Sie mir die Katzenmusik auf den Hals gehetzt?«
    Sie seufzte. »Diese Musik kann man nicht lenken, Herr Micker, und das wissen Sie genau. Sie entsteht von selber, wenn den Leuten der Kragen platzt. Niemand weiß, wann sie einsetzt. Es beginnt mit einem Blick, einem ersten stummen Nicken. Es zieht immer weitere Kreise, bis irgendwann der Erste einen Löffel in die Hand nimmt und auf einen Teller trommelt, bis jemand seinen Bierkrug auf den Tisch knallt, bis nach und nach alle mit ihren Stiefeln auf den Boden stampfen, lauter und immer lauter. Katzenmusik ist Lärm gewordener Zorn. So hört es sich an, wenn das Fass überläuft. Wollen Sie ernsthaft hier sitzen bleiben, bis sie kommen und dafür sorgen, dass Ihnen Hören und Sehen vergeht?«
    »Sie halten sich wohl für besonders schlau, was?«, knurrte Micker. »Glauben, Sie können die Leute einfach so rumkommandieren, mit Ihrem Besen und Ihrer Schwarzen Magie.«
    Sie konnte sich einer gewissen Bewunderung nicht erwehren. Er hatte keinen einzigen Freund mehr auf der Welt, war über und über mit seinem eigenen Erbrochenen bekleckert und – sie schnupperte – ja, von seinem Nachthemd tropfte Urin. Und trotzdem wagte er es, Widerworte zu geben. »Ich bin bloß schlauer als Sie, Herr Micker. Und das ist kein großes Kunststück.«
    »Ach nein? Die Schlauheit wird Ihnen schon noch vergehen. Halbgares Frauenzimmer, das sich überall einmischt … Warten Sie ab, bis sie Ihnen eine Katzenmusik bringen. Was machen Sie dann?«
    »Weglaufen, Herr Micker. Mich aus dem Staub machen. Und für Sie wird es jetzt auch höchste Zeit.« Sie konnte bereits einzelne Stimmen heraushören.
    »Würden Ihre Majestät vielleicht erlauben, dass man sich vorher noch die Stiefel anzieht?«, fragte er höhnisch und bückte sich schon danach. Aber man konnte in Herrn Micker lesen wie in einem nicht besonders dicken offenen Buch. Einem Büchlein voller fettiger Fingerabdrücke und einer Scheibe Speck als Lesezeichen.
    Mit schwingenden Fäusten richtete er sich auf.
    Sie wich einen Schritt zurück, fasste ihn beim Handgelenk und ließ die Schmerzen auf ihn los. Tiffany spürte, wie sie kribbelnd ihren Arm hinunter und in den Mann hineinliefen: die gesamten Schmerzen seiner Tochter in nur einer Sekunde. Er wurde quer durch die Küche geschleudert, alle Gefühlsregungen aus ihm herausgebrannt, bis auf eine animalische Angst. Wie ein Stier warf er sich gegen die morsche Hintertür, brach hindurch und verschwand in der Dunkelheit.
    Tiffany schleppte sich zurück in die Scheune, die von einer Lampe erleuchtet war. Laut Oma Wetterwachs fühlte man die Schmerzen nicht, die man einem anderen abgenommen hatte. Aber das war eine Lüge. Eine notwendige Lüge. Man fühlte sie sehr wohl, doch man konnte sie aushalten, weil es nicht die eigenen waren. Aber nachdem man sich von ihnen befreit hatte, konnte man sich vor Schwäche kaum noch auf den Beinen halten.
    Als die tobende, lärmende Meute eintraf, saß Tiffany still neben dem schlafenden Mädchen in der Scheune. Die Katzenmusik zog einmal um die Kate herum, aber sie überschritt nicht die Schwelle. So lautete eines ihrer ungeschriebenen Gesetze. Und die wurden eingehalten, auch wenn man es kaum glauben mag. Manchmal wütete sie drei Nächte, manchmal genügte auch schon eine. Doch so lange sie in der Luft lag, traute sich niemand aus dem Haus heraus und auch niemand wieder hinein. Es sei denn, er wollte um Vergebung oder um Verständnis bitten – oder um zehn Minuten zum Packen und Abhauen. Die Katzenmusik hatte keinen Dirigenten. Alle wurden von der Raserei gleichzeitig befallen. Sie spielte immer dann auf, wenn in einem Dorf das Gefühl überhand nahm, dass ein Mann seine Frau zu oft oder seinen Hund zu brutal geschlagen hatte. Wenn ein verheirateter Mann und eine verheiratete Frau vergaßen, dass sie mit jemand anderem verheiratet waren. Es gab auch noch andere, dunklere Taten, die mit der Katzenmusik gesühnt wurden, doch über die redete man nur hinter vorgehaltener Hand. Dem einen oder anderen gelang es, die Musik wieder zum Verstummen zu bringen, indem er ein besserer Mensch wurde; aber die meisten packten ihre Siebensachen und machten sich noch vor der dritten Nacht aus dem Staub.
    Von selbst hätte Micker die Warnung
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