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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid
Autoren: Terry Pratchett
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rollte. Ein schwarzer Käse mit einer dicken Staubschicht, der ein schmutziges blau-weißes Tuch umgebunden hatte.
    »Oh nein«, seufzte sie. »Horace! Und wo du bist, ist der Ärger nicht weit.« Sie blickte sich forschend um. »Jetzt hört mal gut zu«, sagte sie leise. »Ich weiß, dass mindestens einer von euch in der Nähe sein muss. Dieser Wettkampf ist nicht für euch, sondern für die Menschen. Verstanden?«
    Aber es war schon zu spät. Der Rennleiter, der einen großen Schlapphut mit spitzenbesetzter Krempe trug, erhob die Stimme und verkündete: »Lasset die Laibe rollen!« Eine etwas hochtrabende Ausdrucksweise für »Auf die Plätze, fertig, los«, aber ein Mann mit Spitzenborte am Hut würde niemals etwas platt ausdrücken, wenn es auch geschwollen ging.
    Tiffany traute sich kaum hinzusehen. Die Läufer kugelten und schlitterten mehr den Hügel hinunter, als dass sie rannten. Schon erhob sich lautes Geschrei. Der schwarze Käse, der sich blitzschnell an die Spitze des Feldes gesetzt hatte, machte immer wieder unvermittelt kehrt, um einen seiner unschuldigen Käsekollegen von der Strecke zu drängen. Während er den Hügel hinaufschoss, gab er ein leises Grollen von sich.
    Schimpfend versuchten die Käseläufer, ihn festzuhalten, doch obwohl sie mit Stöcken nach ihm schlugen, setzte der Schurkenkäse seinen Weg der Zerstörung unbeirrt bis ins Ziel fort, wo das Rennen in einer schrecklichen Massenkarambolage aus Leibern und Laiben seinen Höhepunkt fand. Anschließend rollte er gemächlich wieder nach oben und blieb, sanft vibrierend, auf der Startlinie hocken.
    Am Fuß des Hügels brach derweil unter den kampffähig gebliebenen Käse-Jockeys eine Schlägerei aus. Und da das Publikum nur noch Augen für dieses wilde Getümmel hatte, nutzte Tiffany die Gunst des Augenblicks, Horace an sich zu nehmen und ihn in ihrer Tasche zu verstauen. Schließlich gehörte er ihr. Zumindest hatte sie ihn gemacht. Allerdings musste ihr dabei irgendetwas Seltsames in die Milch geraten sein, denn Horace war der einzige Käse, der nicht nur Mäuse fraß, sondern, wenn man ihn nicht festnagelte, sogar andere Käse. Es war deshalb auch kein Wunder, dass er sich so prächtig mit den Wir-sind-die-Größten 8 verstand, die ihn zum Ehrenmitglied ihres Clans ernannt hatten. Er war eben ein Käse ganz nach ihrem Geschmack.
    Möglichst unauffällig hob Tiffany sich die Tasche an den Mund und zischte: »So etwas gehört sich nicht! Schäm dich!« Die Tasche wackelte ein bisschen. Leider kam das Wort »schämen« in Horaces Wortschatz nicht vor – was auch für alle anderen Wörter galt. Sie ließ die Tasche wieder sinken, entfernte sich ein paar Schritte von der Menge und sagte: »Ich weiß, dass du da bist, Rob Irgendwer.«
    Schon saß er auf ihrer Schulter. Sie konnte ihn riechen. Da die Größten, wenn es nicht gerade regnete, kaum mit Wasser in Berührung kamen, rochen sie immer wie leicht beschwipste Kartoffeln. »Die Kelda 9 wollte wissen, wie’s dir so geht«, sagte der Große Mann des Clans. »Du has‘ dich schon zwei Monate nich mehr bei ihr inner Höhle blicken lassen. Ich glaub, sie macht sich Sorgen um dich, wo du doch immer so schwer schuften muss‘.«
    Tiffany stöhnte, aber nur innerlich. »Das ist sehr nett von ihr. Die Kelda kann sich bestimmt denken, dass ich sehr beschäftigt bin. Die Arbeit hört eben nie auf. Ich werde immer irgendwo gebraucht. Aber sie muss sich keine Sorgen machen. Es geht mir gut. Und lass bitte Horace nicht mehr frei herumrollen – du weißt doch, wie leicht er über die Stränge schlägt.«
    »Ja, aber da oben aufm Spruchband steht doch, dass der Jahrmarkt ‘n Fest fürs Volk der Hügel is. Und wir sind noch viel mehr als Volk. Wir sind Folklore ! Daran is nich zu rütteln. Außerdem halt ich große Stücke auf den großen kleinen Hosenlosen. Er is’n toller Hecht, das steht mal fest.« Rob hielt kurz inne. »Dann kann ich ihr also bestelln, dass bei dir so weit alles in Butter is?« Er klang ein wenig nervös, als ob er gern mehr gesagt hätte, sich aber nicht so recht traute.
    »Mach das, Rob Irgendwer. Ich wäre dir sehr dankbar«, antwortete Tiffany. »Wenn ich das richtig sehe, muss ich jetzt erst mal los, ein paar Leute verbinden.«
    Heldenhaft ratterte Rob Irgendwer – ein Mann auf undankbarer Mission – nun doch noch den Satz herunter, den ihm seine Frau für Tiffany mitgegeben hatte: »Die Kelda sagt, andre Väter haben auch schöne Söhne!«
    Tiffany stand da wie erstarrt.
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