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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid
Autoren: Terry Pratchett
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Lämmchens miterlebt oder die eines Kälbchens — eine laute Angelegenheit, die man nicht so leicht überhören kann. Sie wissen also ganz genau, was ihre Frage bedeutet.
    Nun schaltete sich Nancy ein. »Wenn das nämlich stimmt, Fräulein, hätten wir gerne unsere Blumen zurück. Wir wollen sie ja nicht verschwenden. Nicht böse sein.« Rasch trat sie einen Schritt zurück.
    Tiffany war selbst überrascht, dass sie lachen musste. Das hatte es bei ihr schon ewig nicht mehr gegeben. Während sich die Dorfbewohner erstaunt nach ihr umdrehten, erwischte sie die Mädchen in letzter Sekunde, bevor sie davonlaufen konnten, und zog sie zu sich herum.
    »Gut gemacht, ihr zwei«, sagte sie. »Ich freue mich immer, wenn zur Abwechslung mal jemand seinen Verstand benutzt. Ihr dürft nie aufhören, Fragen zu stellen. Und nun zu meiner Antwort: Was die süßen Triebe angeht, sind Hexen genau wie alle anderen Menschen auch, bloß haben sie meistens so viel zu tun, dass sie gar nicht dazu kommen, über sie nachzudenken.«
    Die Mädchen schienen froh, dass sie sich die Mühe mit den Blumen doch nicht ganz umsonst gemacht hatten, und Tiffany wappnete sich für die nächste Frage, die wiederum von Becky kam. »Haben Sie denn einen Liebsten, Fräulein?«
    »Zurzeit nicht«, antwortete Tiffany, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie hob das Sträußlein hoch. »Aber wer weiß? Wenn ihr die Blumen richtig gebunden habt, finde ich vielleicht wieder einen. Dann seid ihr bessere Hexen als ich. So viel steht fest.« Die beiden Mädchen ließen sich diese dreiste Schmeichelei strahlend gefallen, und die Fragerei hatte ein Ende.
    »So«, sagte Tiffany. »Gleich fängt das Käserollen an. Das wollt ihr doch bestimmt nicht verpassen.«
    »Nein, Fräulein«, antworteten sie im Chor. Ehe sie sich trollten, vor Erleichterung und Selbstherrlichkeit fast platzend, tätschelte Becky tröstend Tiffanys Hand. »Verehrer können ganz schön anstrengend sein«, sagte sie mit der ganzen Abgeklärtheit ihrer acht Lebensjahre.
    »Danke«, erwiderte Tiffany. »Das werde ich mir merken.«
    Mit den anderen Jahrmarktsattraktionen, wie zum Beispiel dem Fratzenschneiden durch ein Pferdekummet, der Kissenschlacht auf einem gefetteten Balken oder sogar dem Froschtauchen, hätte man sie, wenn überhaupt, nur mit Mühe hinter dem Ofen hervorlocken können. Denn das Schönste war für Tiffany schon immer das Käserollen gewesen. Sie konnte sich gar nicht daran sattsehen, wenn ein guter Laib Käse den ganzen Hügel hinunterrollte – allerdings nicht über den Riesen. Davon wäre wohl jedem der Appetit vergangen.
    An den Start gingen ausschließlich Hartkäsesorten, die zum Teil speziell für die Käserollsaison gemacht wurden. Der Hersteller des Siegerlaibes, der unversehrt am Fuß des Hügels ankam, gewann einen Gürtel mit Silberschnalle und die Bewunderung des ganzen Dorfes.
    Obwohl Tiffany eine hervorragende Käserin war, hatte sie noch nie an diesem Wettbewerb teilgenommen. Für Hexen waren solche Turniere tabu. Denn wenn man gewann (und sie wusste, dass sie schon ein, zwei Championkäse hergestellt hatte), hieß es – natürlich hinter vorgehaltener Hand –, das wäre unfair, weil man ja schließlich eine Hexe sei. Und wenn man nicht gewann, wurde ebenfalls getuschelt: »Was soll denn das für eine Hexe sein, die noch nicht mal einen Käse hinkriegt, der die einfachen Käse von uns einfachen Leuten besiegen kann?«
    Kurz vor Beginn des Käserollens setzte sich die Menge allmählich in Bewegung. Nur um die Bude, an der man nach Fröschen tauchen konnte, drängte sich noch das Publikum. Es war eine sehr beliebte und lustige Attraktion – vor allem für die nicht tauchenden Zuschauer. Leider fehlte in diesem Jahr der Mann, der sich Wiesel in die Hose steckte. Sein Rekord stand angeblich bei neun Wieseln in einer einzigen Hose. Seine Anhänger rätselten, ob ihm die ganze Sache vielleicht doch zu kitzelig geworden war. Aber früher oder später versammelten sich alle an der Startlinie für das Käserollen. So wollte es die Tradition.
    Da der Hang an dieser Stelle steil und die Rivalität zwischen den Käsebesitzern groß war, kam es zu einem ungestümen Gerangel, das jedes Mal in Knüffe, Püffe und Tritte überging und gelegentlich auch mit einem Arm- oder Beinbruch enden konnte. Während sich die wartenden Männer mit ihren Laiben in einer Reihe aufstellten, bemerkte Tiffany – offenbar als Einzige – einen ominösen Käse, der aus eigener Kraft an den Start
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