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Das Meer wird dein Leichentuch

Das Meer wird dein Leichentuch

Titel: Das Meer wird dein Leichentuch
Autoren: Melanie Maine
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unter dieser Kälte erbebte. Ich befreite mich aus seiner Umarmung und trat einen Schritt zurück.
     
    Ängstlich sah ich mich um. Hoffentlich hatte niemand diese Umarmung gesehen. Nicht auszudenken, was geschah, wenn man Mister Astor erzählen konnte, dass die Kammerzofe seiner Frau sich bereits beim Betreten des Schiffes in die Arme eines Aristokraten geworfen hatte.
     
    Doch die Menschen, die um uns herum wimmelten, hatten andere Dinge zu tun, als mich zu beobachten. Außerdem waren es ausnahmslos Passagiere der dritten Klasse, die jetzt an Bord kamen. Und die würden meinen Dienstherren höchstens von ihrem Bereich auf dem Unterdeck in der Höhe der Kommandobrücke prominieren sehen.
     
    Erst später erfuhr ich, dass einer der Passagiere bei dem unheimlichen Geräusch aus der Tiefe des Schiffes mit schauerlichen Andeutungen über eine bevorstehende Katastrophe die Titanic verließ. Er beeilte sich, auf das gerade ablegende Tenderschiff zu zurück zu kommen. Die Leute erzählten, dass es ein Seemann aus San Malo gewesen sei. Er habe sein Leben auf dem Meer zugebracht und kannte alle abergläubischen Geschichten aus der Seefahrt.
     
    Dieser Mann war der Einzige, der das unheimliche Zeichen richtig gedeutete hatte. Niemand ahnte, dass es die letzte Warnung war, die das vom Schicksal dem Tod geweihte Schiff den Menschen zurief. Von einem der Offiziere hörte ich später die logische Erklärung, dass es in den eisernen Wänden des Schiffes noch arbeitete und das unheimliche Geräusch somit eine ganz natürliche Erklärung fand.
     
    „Die Titanic weint!“ Ein Frostschauer schüttelte mich, als Damian de Armand diese Worte leise wiederholte.
     
    „Sie machen mir Angst, Monsieur de Marquis! Dieses Schiff gilt doch als unsinkbar. Und Sie reden von einer Gefahr, die uns allen droht.“ brach es aus mir hervor.
     
    „Damian. Nennen Sie mich Damian, wenn wir allein sind und die Etikette keine Förmlichkeiten erfordert, Danielle!“ unterbrach er mich mit sanfter Stimme. „Doch, Sie dürfen mich so nennen. Denn ich wünsche es so. Das Schicksal hat uns auf diesem Schiff zusammengeführt. Und wir werden uns in den nächsten Tagen noch so oft sehen, dass wir auf Förmlichkeiten verzichten können.“ Auf meine ängstliche Frage nach seinen dunklen Andeutungen über das Schicksal der Titanic ging er nicht weiter ein. Und ich spürte, dass es in diesem Augenblick auch keinen Zweck hatte, ihn weiter danach zu fragen.
     
    Damian de Armand, der sicher den höchsten Kreisen des französischen Adels angehörte, hatte mir eine vertraute Anrede angeboten. Einer einfachen Frau aus dem Volk. Das musste ich erst einmal verdauen. Meine ganze Erziehung sträubte sich dagegen, auf dieses Angebot einzugehen. Doch mein Herz sagte mir, dass ich mir auf der ganzen Welt nichts sehnlicher wünschte, als mit Damian zusammen zu sein.
    Damian de Armand. Dieser Name klang wie eine bezaubernde Melodie. Und meine Seele sang diese Melodie, bevor meine Lippen es wagten, diesen Namen zu formen. Niemals zuvor war mir ein fremder Mann gleich so vertraut gewesen. Ich hatte das Bedürfnis, an seiner Seite zu sein und ihm alles zu erzählen. Auch die intimsten Geheimnisse, die tief im Inneren eines Menschen verborgen sind.
     
    Damian de Armand. Obwohl mich seine eisigen Hände bei der Umarmung erschreckten, hatte ich mich in seinen Armen so geborgen gefühlt wie niemals zuvor. Hatte er meine geheimsten Gedanken gelesen, als er mir jetzt den vertraulichen Umgangston anbot? Mehr um die Etikette zu wahren, versuchte ich, das Angebot des Marquis abzuwehren.
     
    „Aber der gesellschaftlichen Unterschiede zwischen einem Mann aus dem französischen Adel und einem Mädchen aus einem Vorort von Paris ...“ wagte ich zu entgegnen. Aber es waren nur meine Lippen, die redeten. Nicht mein Herz. Und ein Blick in seine Augen zeigte mir, dass der geheimnisvolle Marquis de Armand das genau erkannt hatte.
     
    „Diese Gesellschaft und ihre Unterschiede sind Erfindung der Menschen und sie wird vergehen mit den Menschen!“, sagte Damian de Armand mit feierlicher Stimme. „Alle Menschen sind gleich vor Gott - und vor dem Tod! Sie werden es erleben, Danielle.“ setzte er hinzu. Und in seinen Worten schien der feierliche Posaunenstoß des Jüngsten Gerichtes zu hallen ...
     
                                                                                                     
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