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Das Meer und das Maedchen

Das Meer und das Maedchen

Titel: Das Meer und das Maedchen
Autoren: Kathi Appelt
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Haarspitzen. ZING !
    „Mirja! Mirja!“
    Da war es wieder! Ihr Name!
    Es war Signe.
    Die sie rief.
    Signe!
    Mirja schaute zum Strand. Und da war Signe. Sie watete ins Wasser, genauso wie vor sieben Jahren. Bis zu den Knien stand sie in der Brandung und rief nach ihr.
    „Hier!“, wollte Mirja rufen, aber sie hatte keine Stimme mehr. Doch das war nicht wichtig. Sie zurrte ihre Schwimmweste so fest um ihren Körper, wie sie konnte, und dann sprang sie in das seichte Wasser. Noch nie hatte sie es so eilig gehabt. Sie schwamm, wie sie es bei den Surfern gesehen hatte, so wie sie es in Tater im Schwimmbad gelernt hatte. Sie schob sich durch das Wasser. Sie ritt auf den Wellen, ritt auf dem Rücken der Wellenpferde geradewegs in Signes Arme.
    114 Als Signe und Mirja wieder festen Boden unter den Füßen hatten, hob Dogie Mirja auf. Er legte sie auf seinen breiten Rücken, so wie er es immer getan hatte, als sie noch klein gewesen war. Sie drückte ihr Gesicht in seine Dreadlocks, die so hart waren wie Seile. Sie kratzten auf ihrer Haut, aber das war ihr egal. Sie drückte sich an ihn und er hielt sie fest. Neben ihnen stand Signe und hielt sie ebenfalls fest.
    Hier in dieser kleinen Ecke der Welt, im kleinen Universum, hielten alle sie fest. Eine Familie.
    115 Aber ein Mitglied der Familie fehlte. BF .
    Die ganze Freude, die Mirja empfunden hatte, als Signe zu ihr geschwommen war, löste sich schlagartig auf, als sie an BF dachte.
    „ BF “, versuchte sie zu sagen, aber ihre Kehle war zu wund für Worte. Ihre Lippen formten wieder und wieder seinen Namen, während ihr die Tränen über das Gesicht liefen, doch aus ihrer Kehle drang nicht mehr als ein rasselndes Geräusch.
    Mirja klammerte sich an Dogie und der Schmerz über den Verlust von BF wuchs und wuchs, bis er sich größer anfühlte als ein Berg. Viel größer.
    Mirja streckte die Arme nach Signe aus.
    „Wir werden ihn suchen, kleine Motte“, versprach Signe.
    Und Mirja schluchzte.
    116 Mirja liebte BF . Doch jemand anderes liebte ihn mindestens genauso. Ist es so schwer zu glauben, dass eine Möwe und ein Hund so gute Freunde sein konnten? Vielleicht. Aber seit jener stürmischen Nacht, als jener bösartige Winterwind Captain durch das Küchenfenster gedrückt und BF seinen warmen Körper um die Möwe geschlungen hatte, die vor Schmerz und Angst zitterte, vergötterte Captain diesen Hund.
    Er zog seine Kreise über dem Hund, der auf dem Strand lag, direkt am Rande des Wassers. Er ließ sich nach unten sinken, landete und kuschelte sich an ihn. Er schob seinen Körper unter das Kinn des Hundes.
    „Komm her, komm her“, flüsterte er. Aber der Hund rührte sich nicht.
    Captain hüpfte auf BF s Flanke. Der Hund war so still. Captain starrte ihn lange Zeit an. Er marschierte im Kreis um seinen besten Freund herum. Dann ging er davon. Ihm blieb nur eins übrig. Er schlug mit den Flügeln und schwang sich in die Luft.
    Kurz darauf umkreiste er die kleine Gruppe am Strand – Mirja, Dogie, Signe und Zwei – und flog mitten in sie hinein.
    „Komm her, komm her!“, rief er.
    Zum zweiten Mal an diesem Tag überbrachte er eine Botschaft.
    117 Die Welt steckt voller Geheimnisse, nicht wahr?
    Woher wissen die Rochen, wann es Zeit ist, zur Sandbank zu schwimmen? Woher wissen sie, wann über der Sandbank der volle Mond steht, der sie mit seinem Licht hinein ins Becken führt und später wieder hinaus?
    Wann weiß ein Stern, dass seine Zeit vorüber ist, dass er ausgebrannt ist und zur Erde fallen kann?
    Warum schwimmen Seekühe gemeinsam mit Meerjungfrauen?
    Woher weiß ein guter Hund, dass sein Mädchen ihn genauso braucht, wie er es braucht?
    Das weiß nur der Himmel.
    Und überhaupt: Wie schafft es dieser Hund, so viele Flüchtiküsse auf einmal zu geben? Als Mirja BF am Ufer fand, immer noch in die Schwimmweste gewickelt, wusch er ihr Gesicht mit einem Flüchtikuss nach dem anderen. Mirja fand ihren Findehund.
    118 Eigentlich könnte die Geschichte hier zu Ende sein, aber wenn in einer einzigen Nacht so viele Wünsche in die Welt geschickt werden, müssen sich wenigstens einige davon erfüllen. Denn Yemayá ist nicht die Einzige, die einen Wunsch gewähren kann. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Mond in Liebesangelegenheiten eine wichtige Rolle spielt.
    Und als sie so den Strand entlanggingen, zog Dogie die vertraute Melodie des Liedes mit den zwei Worten durch den Kopf und ließ sich nicht mehr daraus vertreiben. Plötzlich fing er an, die Melodie zu summen,
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