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Das Meer und das Maedchen

Das Meer und das Maedchen

Titel: Das Meer und das Maedchen
Autoren: Kathi Appelt
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musste wach bleiben, für den Fall, dass sie BF irgendwo entdeckte. Was, wenn er zu ihr geschwommen kam und sie ihn nicht sah?
    BF .
    Ihre Brust schmerzte. Das Meer wurde immer sanfter und friedlicher. Sie hatte BF verloren. Jede Zelle ihres Körpers schien aus ihrer Verankerung gelöst zu sein. Jeder Muskel brannte. Ihre Finger waren steif vom krampfhaften Festklammern. Ihre Knie waren aufgeschürft und blutig.
    BF .
    Das Wasser klopfte gegen die Seiten des Bootes. Es hörte sich an, als würde es seinen Namen morsen. BF . BF . BF .
    Die Wellen wurden stetig flacher und harmloser. Mirjas Augen wurden schwerer und schwerer. Sie setzte sich auf. Sie durfte nicht einschlafen.
    Sie durfte nicht …
    Genau in dem Moment hörte sie es, ganz unvermittelt: „Komm her! Komm her!“
    Captain! Und da war es auch schon so weit: Er krachte geradewegs auf den Boden des Bootes, direkt neben ihr.
    „Komm her! Komm her!“
    Sie wusste, dass er BF suchte.
    „Komm her! Komm her!“, wiederholte er.
    „Es tut mir leid. Es tut mir so leid!“, war alles, was sie herausbekam.
    Und der Vogel lehnte sich an ihre Brust, als ob er sie verstanden hätte.
    102 Nach einer Weile hatte Captain das Anlehnen satt. Wo war BF ? Als er vorhin losgeflogen war, hatte der Hund direkt neben dem Mädchen im Boot gesessen. Wohin war er verschwunden? Captain hopste auf den Bug des Bootes, den höchsten Punkt. Von hier aus überblickte er das ganze Gefährt, bis zum Heck.
    Kein BF .
    Er hopste zu Boden und schaute unter dem Vordersitz nach. Versteckte sich der Hund etwa dort?
    Nein.
    Kein Hund.
    Dann hopste Captain in die Mitte des Bootes und versuchte, hinter Mirja zu blicken. Saß BF hinter ihr, auf der hinteren Bank?
    „Komm her! Komm her!“, rief er.
    Mirja hob die Hand, um ihn zu streicheln, aber da sah er plötzlich aus dem Augenwinkel neben der Spitze ihres Schuhs … Halleluja! Sein gefallener Stern!
    Sein Ein und Alles! Sein herrlichster, kostbarster Besitz! Schöner und glänzender als je zuvor! Wie er im Mondlicht schimmerte! Da, direkt neben Mirjas Schuh! Er hopste herbei und pickte ihn auf.
    Brrrr! Er war noch genauso kalt, wie er ihn in Erinnerung hatte.
    Aber kalt, kälter oder eisig – das war völlig egal. Es war sein gefallener Stern. Er hatte ihn wiedergefunden! Hipp, hipp, hurra!
    Und weil ein gefallener Stern nur dann etwas wert ist, wenn man damit angeben kann, brachte er ihn schnurstracks zu Mirja. Er stellte sich vor sie hin. Er konnte nicht sein übliches Komm-her-komm-her! sagen, ohne den Anhänger fallen zu lassen, und so tat er das Einzige, was ihm sonst noch einfiel. Er tippte mit dem Glücksbringer gegen ihre Wange.
    103 Das kalte Metall auf ihrer Haut ließ Mirja zusammenzucken. Sie blinzelte und schaute auf die goldene Scheibe. Ihr Glücksbringer. Er hing immer noch an dem gerissenen pinkfarbenen Band.
    „Ha!“, sagte sie bitter zu Captain. „Schöner Glücksbringer!“
    Sie war froh, dass der Vogel bei ihr war. Wenn sie nur ein Stück Wassermelone für ihn hätte!
    Wassermelone!
    Das war es! Mirja richtete sich kerzengerade auf.
    Der Glücksbringer. Wassermelone. Der Glücksbringer. Wassermelone.
    Mit vor Kälte zitternden Fingern versuchte sie den Glücksbringer aus Captains Schnabel zu ziehen. Sie ruckte daran, aber er ließ sich den Anhänger nicht wegnehmen. Ihre Hände taten so weh, dass sie ihn nicht richtig greifen konnte.
    Da blieb nur eins …
    „Wassermelone“, sagte sie, so laut sie mit ihrer krächzenden Stimme konnte.
    „Komm her! Komm her!“, kreischte er. Und dabei ließ er den Anhänger in ihre Hand fallen. Und so schnell sie mit ihren steifen Fingern vermochte, knotete sie das pinkfarbene Band um Captains Hals.
    Dann krächzte sie: „Wassermelone, Captain. Wo ist die Wassermelone?“
    Captain wusste genau, was sie meinte. Und er wusste auch genau, wo er die Wassermelone finden würde. Vor dem spukblauen Haus. Mirja musste ihn kein zweites Mal auffordern. Allein die Erwähnung seiner Lieblingsleckerei brachte ihn auf Trab. Mit beiden Händen hob Mirja ihn in die Höhe, um ihm den Abflug zu erleichtern, und schaute dann zu, wie er immer höher stieg und schließlich verschwand.
    „Vielleicht“, sagte sie, zum Himmel gewandt. „Vielleicht … vielleicht … vielleicht … vielleicht …“, bis sie sich schließlich erschöpft gegen die Bank lehnte und die Augen schloss. Der Schlaf zog sie unter seine weiche Decke.
    Sie sah nicht, wie sich die Flosse aus dem Wasser erhob. Sie sah nicht, wie der
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