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Das Mars-Labyrinth: Roman (German Edition)

Das Mars-Labyrinth: Roman (German Edition)

Titel: Das Mars-Labyrinth: Roman (German Edition)
Autoren: David Macinnis Gill
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muss diese Dinge schließlich im Auge behalten.«
    Meine Lunge brennt. Inzwischen bin ich ungefähr dreißig Sekunden unter der Oberfläche. Sichtweite null. Meine einzige Hoffnung, das Mädchen zu retten, besteht darin, schnellstens den Grund des Abwasserbeckens zu finden.
    »Vienne versucht, Kontakt aufzunehmen«, sagt Mimi. »Soll ich ihre Einspeisung auf Auralvideo legen?«
    »Ich habe zu tun!«
    »Ich fasse das als Nein auf.«
    Wieder trete ich heftig mit den Beinen, getrieben von Verzweiflung. Als ich die Arme zum nächsten Zug nach vorn recke, berühren meine Finger Beton und eine dicke Schleimschicht, die ihn überzieht. Die Schmiere brennt auf meiner Haut, obwohl ich unter Wasser bin. Ich atme die letzte Luft in meiner Lunge aus. Blasen blubbern an meinem Gesicht vorüber, und der fehlende Sauerstoff macht sich sofort durch ein stechendes Gefühl bemerkbar. Noch ein paar weitere Sekunden in dieser Lage, und ich werde nicht mal mehr imstande sein, mich selbst zu retten.
    Wo ist das Mädchen?
    »Cowboy«, sagt Mimi. »Ich empfange eine außergewöhnliche Frequenz.«
    »Was für eine ...«
    Dann höre ich es. Ein leises, tiefes Brummen. Rechts von mir. Mein Kopf ruckt herum. Meine Hände durchkämmen den schleimigen Belag, greifen, ziehen sich zurück, suchen weiter und finden nichts, nichts, nichts. Goldene Flecken tanzen vor meinen Augen. Geräusche krachen in meinem Gehör. Es ist nur noch eine Frage von Sekunden, dann wird meine Welt sich schwarz färben, und mein Leben wird in einer riesigen Wanne wiederaufbereiteter Exkremente enden – nicht gerade das, was Regulatoren sich unter einem »Schönen Tod« vorstellen, wie es bei ihnen heißt.
    Moment mal. Meine Hand streift etwas Festes. Die Kette!
    Reflexartig umfasse ich eine Hand voll Kettenglieder. Ziehe, bis die Handschellen fest in meinem Griff sind. Das Mädchen ist sehr dünn und wiegt unter Wasser kaum etwa. Ihre Glieder fühlen sich leblos an. Ich hoffe, sie ist nur bewusstlos.
    »Mimi«, sage ich, »kontrolliere ihre Lebenszeichen.«
    »Kein Herzschlag, keine Atmung«, antwortet Mimi. »Sie ist tot.«
    Nicht mit mir! Ich schiebe meinen Kopf zwischen die Arme des Mädchens. Ihr Körper liegt über mir wie ein menschliches Cape. Das zusätzliche Gewicht drückt uns auf den schleimigen Boden, wo ich auf die Knie gehe, mich abstoße und uns nach oben katapultiere.
    Luft! Wir durchbrechen die Oberfläche, und ich nehme einen tiefen Zug der süßlich stinkenden, marsianischen Dosenluft. Dann Seitenschwimmen. Dabei halte ich den Kopf des Mädchens über Wasser. Da! Nur wenige Meter entfernt – eine Leiter in Reichweite. Ich packe eine Sprosse. Das Gewicht des Mädchens nimmt zu, als ich sie aus dem Wasser ziehe. Als ich schließlich mehr oder weniger auf die Plattform krieche, lege ich sie sanft auf dem Betonboden ab.
    Ihr Gesicht ist mit Scheiße bedeckt, und ihre Lippen haben sich beängstigend blau verfärbt. Grünliche Flüssigkeit sammelt sich unter ihrem Körper. Ihr schwarzes Haar klebt an ihren Wangen. Ich streiche es zurück und stelle fest, dass das Mädchen kein Kindergesicht hat. Es ist älter – vielleicht zwei Jahre –, als seine Mutter behauptet hat. Was bedeutet, dass es mündig ist, kein Kind mehr. Man hat mich belogen. Warum?
    »Mimi«, sage ich, immer noch ziemlich außer Atem. »Lebensfunktionen überprüfen.«
    »Keine gefunden«, antwortet sie nach wenigen Sekunden.
    »Denk gar nicht daran, jetzt noch zu sterben, Mädchen.« Ich wische ihr Gesicht ab. Säubere ihre Atemwege. Fange an, sie wiederzubeleben. Der erste Druck auf die Brust befördert gerade mal ein Schnapsglas Wasser aus ihrer Lunge, und ich wechsele zu Mund-zu-Mund-Beatmung. Ihre Haut ist kalt. Leblos. Der einzige Atem in ihrer Lunge ist meiner.
    »Mimi?«
    »Noch nichts, Cowboy.«
    »Mache ich es richtig?«
    »Den vorliegenden Daten zufolge, ja.«
    »Komm schon, atme!« Ich wechsele zur Herzmassage über und zähle die Pumpstöße. Meine Schultern schmerzen, und meine Unterarme brennen, aber ich werde nicht aufhören. »Komm schon, Mädchen! Gib mir ein winziges Lebenszeichen! Irgendwas!«
    »Zwei Minuten«, sagt Mimi, als meine Arme von der Herzmassage fast taub sind und ich beinahe hyperventiliere. »Immer noch kein Lebenszeichen.«
    »Ich gebe nicht auf!« Die Haut des Mädchens ist kälter denn je. Ich zähle die Pumpstöße und sehe mich in der Umgebung um. Postule ist längst weg. Ebenso das Lösegeld. Der Job ist aus dem Ruder gelaufen. Ich habe versagt.
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