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Das Mars-Labyrinth: Roman (German Edition)

Das Mars-Labyrinth: Roman (German Edition)

Titel: Das Mars-Labyrinth: Roman (German Edition)
Autoren: David Macinnis Gill
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mal.« Ich klappe mein Helmvisier hoch und nehme einen kräftigen Zug aus der Sauerstoffflasche, die ich zu diesem Anlass mitgenommen habe. So hoch oben ist die Atmosphäre dünn wie die Hautschichten einer alten Frau, und ich sehe schon schwarze Punkte vor meinen Augen tanzen. Und es ist bitterkalt. Eiskristalle haben sich auf der Plattform gebildet, sodass sie aussieht wie mit Quarzkristallen überzogen, und meine Atemluft zieht sich in die Länge wie ein gefrorenes Seil. Aber vergessen wir die Poesie: Es ist arschkalt. Würde ich hier und jetzt einen Eiszapfen knutschen, würde es sich anfühlen, als schnäbelte ich mit einem Gasbrenner.
    » Melodramatiker ist nicht in meiner Wortschatzdatenbank enthalten«, verkündet Mimi, »aber ich bin imstande zu adaptiver Selbstprogrammierung.«
    Was für ein Mist. Schlimm genug, wenn man eine Flash-Clone-KI im Hirn hat, aber nun erklärt mir besagte KI auch noch, sie brüte neue Wörter aus.
    »Das habe ich gehört«, sagt sie.
    Was keine Überraschung ist. Mimi hört alles.
    »Ich wollte ja auch, dass du mich hörst«, sage ich.
    »Nicht wahr.«
    »Doch wahr.«
    »Gibt es für das dumme Gerede einen Grund, oder willst du nur Zeit schinden?«
    »Zeit schinden.« Ich spähe über den Rand der Fahrstuhlplattform. Kein Geländer. Keine Rettungsleine. Ein Fehltritt, und du bist ein menschlicher Meteorit. Meine Knie fangen an zu zittern. Schwindel erfasst mich, und beinahe wäre ich kopfüber über den Rand gestürzt.
    »Da wir gerade von meiner Wortschatzdatenbank sprechen«, meldet Mimi sich wieder zu Wort. »Möchtest du, dass ich auch die Bedeutung des Wortes Hosenscheißer nachschlage?«
    Ich lasse mich auf Hände und Knie fallen. »Ich werde gleich sterben, das Zeitliche segnen, wegaasen. Dein Gerede wird meinen Abgang nur beschleunigen.«
    »›Kleine, geschmeidige, kauernd angstvolle Seel‹«, zitiert Mimi eines ihres Lieblingsgedichte – ich persönlich finde es bescheuert –, verfasst von einem längst versteinerten Erdenbewohner. »›Oh, wie panisch schlägt das Herz in deiner Kehl!‹«
    »Kann man wohl sagen. Warum habe ich mich bloß auf diesen Scheiß hier eingelassen? Welcher Trottel fährt mit einem Raumfahrstuhl zehn Kilometer hoch in die Atmosphäre, nur um dann runterzuspringen? Das war eine rhetorische Frage«, warne ich Mimi. »Antworte nicht.«
    »Du bist so süß, wenn du Angst hast.«
    Wieder beuge ich mich über den Rand. Wenige Meter unter mir hängt eine Rettungskapsel. Das Bohnenstangenpersonal benutzt diese Dinger, wenn der Fahrstuhl stecken bleibt. Ich brauche jetzt nur noch von hier zu der Kapsel zu springen.
    Nur noch. Von hier. Zu der Kapsel. Hier. Kapsel.
    Ebenso gut hätte man von mir verlangen können, von hier zur Erde zu hüpfen.
    »Du vergeudest nur Zeit«, sagt Mimi. »Deine Akrophobie ist lediglich eine Manifestation deines Verlangens, jeden Aspekt deines Lebens kontrollieren zu können. Um die Phobie zu besiegen, musst du einfach nur deinen Herzschlag und deine Atmung anpassen. Und dann lässt du los.«
    »Du hast leicht reden, Madame Freud. Du hast ja nicht mal Hände.«
    »Und? Du solltest übrigens die Maske benutzen. Meine Sensoren melden ein Absinken der Blutgaswerte.«
    »Willst du behaupten, ich gase aus?«
    »Nein. Ich behaupte, du bestehst aus kaum mehr als heißer Luft. Und jetzt halt die Klappe und komm endlich in die Gänge.«
    »Na gut.«
    Ich verpasse mir genug Sauerstoff, um die Lunge zu sättigen. Stelle die Sauerstoffflasche auf der Plattform ab. Spanne den Gurt, mit dem das Sturmgewehr auf meinem Rücken befestigt ist, und vergewissere mich, dass das kleine Vermögen in meiner Körperpanzerung sicher verstaut ist. Es ist als Lösegeld gedacht, und das Gewehr ist für den Verbrecher, den ich erledigen soll – falls der Sturz aus dem Weltall nicht vorher mich erledigt.
    »Hey, Cowboy«, sagt Mimi, »dir bleibt keine Minute mehr, um mit dem Abstiegsprotokoll anzufangen. Mach voran.«
    »Miststück!« , fluche ich. »Ich bin zu jung zum Sterben.« Aber ich klappe das Visier zu. Kneife die Augen fest zusammen. Und falle ins Nichts. Eine Sekunde später prallen meine Stiefelsohlen auf das Dach der Rettungskapsel. Mein Magen stürzt derweil weiter in die Tiefe.
    »Das war ziemlich enttäuschend«, verkündet Mimi.
    »Sag das meinem Magen.«
    »Ist der auch zu jung zum Sterben?«
    »Nein, aber er ist gut im Ausgasen.«
    Ich öffne die Luftschleuse und lasse mich hineinfallen. Auf dem Boden angelangt, schaue ich durch das
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