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Das Mädchen und die Herzogin

Das Mädchen und die Herzogin

Titel: Das Mädchen und die Herzogin
Autoren: Astrid Fritz
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hinausschieben können. Bis hinein in diesen bitterkalten Winter! Denn bereits im letzten März war der Baiernfürst verschieden, zehn Monate lag sein Tod nun zurück. Zehn Monate, in denen sich für die Herzoginwitwe Trauer und Schmerz endlich zu einem erträglichen Maß gemindert hatten – jetzt aber würde diese Totenfeier alles wieder aufwühlen.
    Als ob Ludwig ihre Gedanken gelesen hätte, fragte er sie: «Kümmerst du dich um unsere Mutter? Mach doch eine Schlittenpartie mit ihr, im Doppelhirsch, unserem neuen Prunkschlitten.»
    Sie nickte. Der Ostwind, der plötzlich aufkam, fuhr ihr eisig in die Glieder. Sie zog sich den pelzbesetzten Reitrock enger um die kräftigen Schultern. In der dicken Winterkleidung und ihrer Pelzkappe hatte sie etwas von einem jungen Mann; nicht umsonst bedachte man sie im Schloss neuerdings mit dem Necknamen «Sabina Fortissima».
    Drüben am Haupttor herrschte inzwischen die Geschäftigkeit eines Ameisenhaufens. Volle Wagen und Karren fuhren hinein, leere hinaus. Seit Wochen schon wurde in den Wäldern Holz geschlagen und geschossen, was vor Armbrust und Büchse kam, wurde Vieh gemästet und geschlachtet, wurden die Fische aus den Weihern und Flüssen gezogen und in den Ställen Eier gesammelt, um sie in Essig zu legen, und ohne Murren kamen die Bauersleute ihren Frondiensten nach. Tag und Nacht stand neuerdings das Gesinde in den Hofküchen und briet und buk, schmorte und kochte, während sich die Keller und Vorratskammern bis unter die Decken füllten. Doch würde bei diesem Eis und Schnee überhaupt jemand anreisen?
    Letztendlich war Sabina das völlig einerlei. Für sie gab es nur eine einzige Frage: Würde
er
kommen, der Mann, dem sie seit über zehn Jahren versprochen war, den sie indes noch niemals von Angesicht zu Angesicht gesehen hatte? Wie oft schon hatten die bairischen Unterhändler sein Kommen angekündigt, doch wer nicht erschien, war Herzog Ulrich, den ihr kaiserlicher Oheim zu seinem sechzehnten Lebensjahr vorzeitig für mündig erklärt und damit zum Herrn über Wirtemberg gemacht hatte. Auf jenem Reichstag vor bald sechs Jahren, wo dann auch hochoffiziell ihre Heiratsabrede verlautbart worden war. Von diesem Tag an hatte Herzog Ulrich zwar dem künftigen Schwiegervater ab und an ein Fass Neckarwein geschickt und im Gegenzug dazu aus Münchenfeinstes Salz bekommen. Aber sie selbst, die Braut, war dabei nicht einmal mit einem Gruß bedacht worden, geschweige denn mit einem Geschenk.
    Und was sollte sie von einem Bräutigam halten, der nicht einmal zur Bestattung ihres Vaters erschienen war, der stattdessen lediglich seinen Canzler nach München gesandt hatte, um in hohlen Worten sein Beileid bekunden zu lassen? Und das, obwohl Sabina nur wenige Wochen später, mit dem sechzehnten Geburtstag, ihr Heiratsalter erreichte und Ulrich sein Versprechen hätte einlösen müssen! Auch dies war nun schon wieder etliche Monate her, und selbst die Mahnungen der bairischen Hofcanzlei nach Stuttgart hatten nichts genutzt.
    Sabina stieß mit dem Fuß in eine Schneewehe, dass es staubte. Es gab nur eine einzige Erklärung: Ulrich von Wirtemberg wollte sie gar nicht zur Frau.
     
    «Was bin ich froh, dass ich mit dieser Aufregung drüben im Schloss nichts mehr zu schaffen habe. Wie ich gehört habe, geht alles drunter und drüber mit der Vorbereitung der Feierlichkeiten.»
    Kunigunde von Baiern nippte an ihrem heißen Gewürzwein. Seit dem völlig unerwarteten Tod ihres Gemahls lebte sie zurückgezogen in dieser Kemenate im Püttrich-Seelhaus, von der Neuveste nur einen Steinwurf entfernt. Hier verbrachten Witwen von hohem Stande ihren Lebensabend in mildtätiger Mission.
    Müde sah ihre Mutter aus, ihre einstige Schönheit verwelkte zusehends – eine herbe, dunkle Schönheit, die sie von ihrer portugallischen Mutter geerbt hatte. Leider hatte Sabina von diesem Erbe wenig abbekommen, allenfalls das südländische Temperament. Allzu groß und stattlich war sie geraten, um anmutig zu wirken, allzu energisch und ausgeprägt waren ihreGesichtszüge. Zumindest fand sie selbst das, da konnten ihre Brüder noch so sehr das Gegenteil behaupten.
    «Setz dich her, meine Tochter.» Kunigunde, wie immer ganz in Schwarz bis auf den weißen Witwenschleier, der Haar und Stirn bedeckte, zog eine Papierrolle aus der Schublade des Tischchens. Ein Seufzer entwich ihrer Brust, den sie sogleich mit einem Lächeln zu überspielen suchte. «Nun kommt er tatsächlich.»
    «Wer?» Sabina biss sich auf die
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