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Das Mädchen und der Zauberer

Das Mädchen und der Zauberer

Titel: Das Mädchen und der Zauberer
Autoren: Heinz G. Konsalik
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in den Hüften, stieß René zur Seite und rannte vor ihm ins Haus. Im Schlafzimmer riß sie die Tülldekorationen herunter, stampfte auf ihnen herum und warf sich dann aufheulend wie ein Tier auf das Bett.
    René schlief in dieser Nacht auf dem Sofa in seiner Bibliothek und schloß sogar die Tür ab. Die beiden Fenster sicherte er durch Jalousien. Aber nichts geschah. Kein Klopfen an der Tür, keine bettelnde Stimme, kein Toben. Im Haus war es geisterhaft still, nur der Wind, der vom Meer kam, sang leise unter dem Dach der Veranda.
    Da Josephine ihr Auto in der Garage neben der Fabrik stehen hatte, hörte René nicht, daß sie es herausholte und wegfuhr.
    Jules Tsologou Totagan war einer der geachtetsten Männer in der ganzen Region. Ein weißhaariger Greis von imponierendem Äußeren, nicht übermäßig groß, aber kräftig in den Schultern, stark in den Armen und auf Säulenbeinen stehend. Das Faszinierendste an ihm aber war sein Gesicht. Ein dunkelhäutiger Kreole, der nie verleugnet hatte, Nachfolge eines Negersklaven zu sein und der auch seinen Namen behalten hatte im Gegensatz zu fast allen, die sich britische oder französische Namen zugelegt hatten. Nur Jules war eine Konzession seines Vaters an die Franzosen gewesen, weil dieser ein großer Verehrer von Clémanceau gewesen war, dem französischen Ministerpräsidenten, den man den Tiger von Frankreich genannt hatte. »Tsologou Totagan … das ist ein Name aus Togo!« sagte Jules, wenn man ihn nach dem merkwürdigen Namen fragte. »Daher kommen meine Ahnen! Mit einem Sklavenschiff kamen sie herüber. Darauf bin ich stolz.«
    Jules hatte in jungen Jahren in Fort de France als Gehilfe bei einem Arzt gearbeitet und viel gesehen und viel gelernt. Und während die anderen jungen Burschen abends in den kreolischen Lokalen den Merengué oder die Biguine tanzten, lernte Jules weiter. Nicht bei den Weißen, sondern bei einem Priester des Voodoo, den man Houngan nennt, und dessen Leben mit den Geistern und Göttern, den Dämonen und den Kräften der Natur den jungen Jules nicht mehr losließ. Jahrelang war er der Gehilfe des Houngan, assistierte bei den Beschwörungen, präparierte die Fetische, schnitzte die Legbas, die bizarren Figuren, die das Eindringen von bösen Geistern in das Haus verhindern sollen, schärfte die Opferbeile und Messer, pflegte den Dreizack, das Symbol der Wassergöttin Mami, fütterte die Totenpuppen – aus Holz geschnitzte Körper, mit bunten Kleidern, die für jeden Verstorbenen bei dem Houngan abgegeben wurden – täglich mit Bohnen, Hühnerfleisch und rotem Palmöl und lernte vor allem, daß Fetischzauber und Trance, unbedingter, sich opfernder Glaube an die Götter und die Kraft der eigenen Ausstrahlung des Priesters in der Lage waren, Krankheiten zu heilen, Lügen zu entlarven, Wahrheiten zu finden und Gottesgerichte einzuberufen.
    Als Jules zwanzig Jahre alt war, spürte er in sich eine unheimliche Kraft. Mit einem selbstgeschnitzten Fetisch, den er vorher dem Gott der Dämonen geweiht hatte, durfte er unter Aufsicht seines Houngan eine kranke Frau behandeln, die unter seltsamen Krämpfen litt. Sie war auch schon bei dem weißen Arzt gewesen, bei dem Jules die Handreichungen machte, er hatte ihr Spritzen gegeben, aber sie halfen nichts. Nun zeigte Jules, was er gelernt hatte: Er biß einem Hahn die Kehle durch, träufelte das Blut über den Fetisch, schlug drei Eier darauf, vermischte Blut und Ei, gab einen Sud aus Blättern und Wurzeln dazu und strich mit dem so getränkten Fetisch dann der kranken Frau über den entblößten Körper. Dabei sangen sie alle in einem monotonen Rhythmus und wiegten sich hin und her. Nach zehn Minuten fiel die Frau in Zuckungen, stürzte zu Boden, Schaum trat ihr vor den Mund, ihr Körper schnellte immer wieder vom Boden hoch wie der einer geköpften Schlange … und dann lag sie völlig leblos da und mußte hinausgetragen werden.
    Von dieser Stunde an war sie von allen Krämpfen befreit.
    Mit knapp dreißig Jahren, nun selbst ein Houngan, zog Jules Tsologou Totagan zuerst nach Macouba im Norden der Insel, dann weiter ins Innere, in das wilde Land um den Mont Pelée. Hoch oben im Regenwald, am Grande Rivière, zwischen den Bergen Pain de Sucre und Montagne Ste. Croix baute er seine flache, rosa bemalte kreolische Holzhütte, Mittelpunkt des Voodoo-Zaubers und Pilgerort für alle Kranken, die an die Wunder glaubten. Er nannte sich jetzt offiziell Naturheiler, bekam von der französischen Administration
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