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Das Mädchen und der Zauberer

Das Mädchen und der Zauberer

Titel: Das Mädchen und der Zauberer
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und in den Voodoo-Zauberkreis trug. Josephine rückte etwas zur Seite; Coulbet erkannte genau ihre entsetzten Augen, aber sie flüchtete nicht. Sie blieb auf der Felsnase sitzen, auch, als Jules den Körper Murats neben sie legte. Wie ungeheuerlich ist ihr Haß, dachte Coulbet, wenn sie so etwas auf sich nimmt. Wie erschreckend ist ihr Vernichtungswille.
    Jules Totagan hatte den toten Mann nun auf den Rücken gelegt. Er griff zum Boden, hatte plötzlich ein Messer mit langer Klinge in der Hand und schlitzte mit einem Hieb das blutstarrende Hemd auf. Er fiel auf die Knie, beugte sich über den Toten und stieß die Klinge unterhalb der Kehle in den Brustkorb. Mit einem wilden Ruck schlitzte er Murat von der Kehle bis zum Nabel auf.
    Das war der Augenblick, wo Coulbets bisherige Welt zusammenstürzte. Einem Eisstrahl gleich, der sein Blut gefrieren ließ, kam die Erkenntnis über ihn: Claudette Sanfour! Mit aufgeschlitztem Leib wurde sie aufgefunden, nie hat man ihren Mörder finden können, und niemand hatte bisher erklären können, warum sie so zugerichtet worden war. Nun war es klar: Auch Claudette Sanfour war ein Voodoo-Opfer von Jules Totagan geworden, das erste, das einer Liebe zu René Birot geopfert wurde. Nur war sie selbst getötet worden, ohne einen Umweg über eine Zauberpuppe, aber Totagan hatte sie – nach seiner Ansicht – nicht einfach umgebracht, sondern den Göttern dargebracht.
    Coulbet schüttelte sich wie im Krampf. Als er wieder durch das Zielfernrohr blickte, hatte Jules das Herz aus Murats Brust geschnitten und auf eine hölzerne geschnitzte Schale gelegt. Josephine kroch nun doch davon, weg aus dem Voodoo-Kreis, geschüttelt vom Grauen. Auf den Knien rutschte sie weg und preßte die Hände vor ihr Gesicht.
    Das wäre es nun, dachte Coulbet, eisig bis ins Herz. Ich werde mein Gewissen nicht mit dem belasten, was ich jetzt tue, denn hier gibt es kein Gewissen mehr! Es wird mich nie einer fragen, was hier draußen am Point du Diable geschehen ist, und ich werde sogar ruhig schlafen können, ja, ruhiger als jemals bisher. Gott möge mir verzeihen, aber hier kann ich nicht anders. Und wenn er mir nicht verzeiht, auch gut, ich weiß es zu tragen! Jules, es darf dich nicht mehr geben, nicht lebendig.
    Er drückte den Kolben des Präzisionsgewehrs tief in die Schulterbeuge, hatte Totagans verklärtes Gesicht genau im Fadenkreuz, sah noch einmal dieses vertraute Gesicht, nun in der Trance des Voodoo-Zaubers zerfließen und fast faltenlos, und beugte den Zeigefinger bis zum Druckpunkt.
    Aber er schoß nicht, er kam nicht dazu, durchzudrücken. Wie eine riesige, weiße Hand schäumte donnernd eine gewaltige Welle an der Felsnase empor, schlug nieder auf Totagan und sein Opferfeld, überspülte es, deckte es zu mit gurgelnder Gischt und riß alles in einem unaufhaltsamen Sog hinunter vom Gestein in den donnernden Ozean. Als die Welle sich verlaufen hatte, gab es keine Opferspieße mehr, keine Kisten und Kartons, keinen toten Murat und keinen Jules Totagan. Nur Josephine, außerhalb der Reichweite der Welle gekrochen, hockte allein auf dem nun kahlen Felsen, und Coulbet meinte, ihr schrilles Schreien zu hören.
    Mit einem Ächzen erhob sich Coulbet, legte das Gewehr weg und ging hinüber zur Klippe. Das Meer heulte zwischen den Felsen, und es klang tatsächlich so, als jubele der Teufel über die ihm zufallenden sündigen Seelen.
    Wer in diesen Ozean stürzte, hatte keine Chance mehr, die Wellen zerschlugen ihn an den Steinen, zerbrachen seine Knochen wie trockenes Holz.
    Vorsichtig balancierte Coulbet zu der Felsennase hin und blieb hinter Josephine stehen. Sie starrte in den tobenden Atlantik, die Hände wie zum Gebet gefaltet, durchnäßt und trotz der warmen Sonne frierend.
    Coulbet beugte sich hinunter und legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie zuckte nicht zusammen, weil plötzlich noch jemand da war, sie senkte nur den Kopf und begann zu weinen.
    »Komm«, sagte Coulbet und schob seine Hände unter ihre Achseln, um sie aufzurichten. »Komm, Josephine. Wenn es eure Voodoo-Götter gibt, sie haben entschieden.«
    Sie nickte, erkannte jetzt erst Coulbet und versuchte ein schwaches Lächeln. Dabei weinte sie weiter, und Coulbet nahm sein Taschentuch und wischte ihr Tränen und Seewasser vom Gesicht.
    »Warte nicht«, sagte er, als sie zögerte. »Onkel Jules kommt nicht wieder.«
    »Nur noch einen Augenblick.« Sie richtete sich auf, mit einem Stolz, der Coulbet ans Herz griff, ging hinüber zu dem
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