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Das Mädchen mit den Teufelsaugen

Das Mädchen mit den Teufelsaugen

Titel: Das Mädchen mit den Teufelsaugen
Autoren: Ines Thorn
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Augenblick schlug das Kind die Äuglein auf. Das Mädchen erstarrte, schaute wie gebannt auf das winzige Kind, auf sein Gesicht, auf seine Augen, von denen eines blau und das andere braun war.

Zweites Kapitel
    Rosamund schlich an Tonias Hand die Straße entlang, blieb stehen, um einem Kätzchen beim Spielen zuzuschauen. Es war noch früh am Morgen, und das gerade fünf Jahre alte Mädchen war noch müde.
    «Warum müssen wir immer so früh aus dem Haus?», fragte sie.
    Tonia, angetan in ein Kleid aus blauem Tuch, seufzte. «Das weißt du doch, Schönchen. Ich habe es dir so oft schon erklärt.»
    «Sag es noch einmal.»
    «Deine Mutter hat es angeordnet. Sie möchte nicht, dass dich viele Leute sehen.»
    Das kleine Mädchen nickte. «Weil ich Teufelsaugen habe, stimmt es?» Sie lachte, stieß mit dem Fuß einen Kiesel vor sich her. «Deshalb muss ich auch die Augenbinde tragen. Damit die Leute keine Angst vor mir bekommen.»
    Sie deutete mit dem Finger auf das schmale Tuch, welches ihr linkes Auge bedeckte, zupfte ihre Kinderfrau am Ärmel. «Warum wäre es denn so schlimm, wenn andere Leute vor mir Angst haben?»
    «Die Menschen verstehen nicht, weshalb du ein braunesund ein blaues Auge hast. Das ist so ungewöhnlich, dass sie denken, der Teufel hatte dabei seine Hand im Spiel. Dazu kommt, dass deine Mutter nach deiner Geburt sehr krank war, dem Tode nahe, und keiner erklären konnte, warum. Na ja, und was die Menschen nicht verstehen können, das bekämpfen sie. Sie denken, deine Augen bringen Unglück.»
    «Und deshalb musst du auch das komische Kleid tragen und deine Ohrringe und Armbänder ablegen, nicht wahr?»
    «Ja. Die Menschen mögen keine Teufelsaugen und sie mögen auch keine Zigeunerinnen. Von uns heißt es, wir würden stehlen und manche von uns könnten zaubern. Ich hatte ein Neugeborenes und deshalb Milch, als du auf die Welt gekommen bist. Deine Mutter konnte dich nicht nähren, also blieb ich bei euch.»
    «Und dein Kind?»
    «Rosamund, ich habe dir das alles schon so oft erzählt. Du weißt doch, dass die anderen Zigeuner meiner Familie es mitgenommen haben. Es wächst bei ihnen auf, und ich bin sicher, dass es ihm gutgeht. Und jetzt lass uns unser altes Spiel spielen. Sieh dir die Hände der Leute an, denen wir begegnen, und sage mir, was du aus ihnen gelesen hast.»
    Inzwischen waren sie auf dem Markt angelangt. Stand reihte sich an Stand, Bude an Bude. Am Rande des Marktes saß ein Junge und bewachte zwei fette Ferkel, die im Abfall herumwühlten, daneben lagen mehrere Hühner, die an den Beinen zusammengebunden waren.
    Von den Fleischbänken her drang ein süßlich schwerer Geruch. Fliegen schwirrten umher, setzten sich auf blaue Hammelbeine, gelbe Schweinsköpfe, graue Rinderzungen. Blutige Klumpen waren über die Bänke verteilt, Hirn lag neben Rinderlungen, Kalbsnieren und dunkelroten Schweinslebern.
    Das Mädchen betrachtete den Schlachter. Er hatte rote Hände, seine Fingernägel waren blutverkrustet. Sie sah genau hin, als er einen augenlosen Lämmerkopf vom Haken riss, sah, wie er in den Eimer mit den Ochsenaugen griff und so fest zupackte, dass eines der Augen zwischen seinen Fingern zerquetscht wurde.
    «Na, Mädelchen, was ist denn mit deinem Äuglein passiert», wurde sie von einer Frau mit Henkelkorb und grünem Halstuch gefragt. Rosamund starte auf ihre Haube, die aus blauem Stoff war und sich mit dem Grün des Halstuchs biss.
    Mit dem Finger wies die Frau auf Rosamunds Augenbinde. Das Mädchen schluckte, zog die Unterlippe zwischen die Zähne und sah sich nach Tonia um. Die aber feilschte mit dem Schlachter um ein Kuheuter, das an manchen Stellen bereits grünlich schimmerte.
    «Kannst du nicht antworten, Kind?» Die Stimme der Frau war streng geworden. «Ich habe dich etwas gefragt. Hast du nicht gelernt zu gehorchen?»
    Rosamund schluckte, sah zu dem Eimer mit den Ochsenaugen, duckte sich vor der Stimme der Frau. Die streckte ihre Hand so weit aus, dass ihr Finger fast die Binde berührte. Rosamund wich zurück. Die Frau machteihr Angst. «Ich   … ich   …», stammelte sie, während die Hand der Frau vor ihrem unbedeckten Auge hin und her schwirrte.
    Da trat die Frau noch einen Schritt vor, riss Rosamund die Binde vom Kopf. Mit aufgerissenem Mund stand sie da. «Teufelsaugen», flüsterte sie und bekreuzigte sich. Dann packte sie ihren Korb fester, lief eilig davon, blieb zwei Stände weiter stehen, zeigte mit dem Finger auf das Kind und rief etwas lauter: «Teufelsaugen.
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