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Das Mädchen mit den Teufelsaugen

Das Mädchen mit den Teufelsaugen

Titel: Das Mädchen mit den Teufelsaugen
Autoren: Ines Thorn
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Frau. Tag und Nacht. Woche für Woche. Keine leichte Arbeit.
    «Habt Ihr dem Herrn davon erzählt?», fragte Tonia noch leiser.
    «Dass du uns alle in Gefahr gebracht hast? Natürlich habe ich es ihm erzählt. Damit er endlich begreift, welche Schlange wir da an unserem Busen nähren.»
    Lisbeth schob den Kopf nach vorn, zischte jetzt: «Oder denkst du, ich habe nicht bemerkt, dass dein Mieder nur halb geschnürt ist, sobald Ruppert zur Tür hereinkommt? Meinst du, mir ist entgangen, wie du ihm um den Bart streichst? «Mag der Herr noch ein Stück vom Braten?», «Soll ich eine Kanne Wein für den Herrn holen?», «Ist dem Herrn die Bettdecke weich genug?», äffte sie Tonia nach. «Hast du je nach mir gefragt? Ob mir die Decke weich genug ist?»
    Tonia sah zu Boden. Natürlich hatte sie gefragt, das wusste sie genau. Aber Ruppert, der Herr, er war freundlich zu ihr. Immer. Nie hatte er sie dreckig genannt, nie Zauberweib oder Schlimmeres, wie die Herrin so oft.
    «Was hat der Herr gesagt?», fragte sie mit zitternder Stimme nach.
    «Der Herr, der Herr. Siehst du jetzt, wie undankbar du bist? Ich biete dir ein Dach über dem Kopf, sorge für dich wie für meine eigene Schwester, aber du fragst nur nach dem Herrn. Was soll er schon gesagt haben? Gehe lieber rüber zur Kirche und frage, für wen da geläutet wird, dann weißt du es. Aber beeile dich, die Wäsche macht sich nicht von allein.»
    Tonia nickte, eilte aus dem Haus, hastete die Michelsgasse entlang bis auf den Römerberg, auf dem die Nikolaikirche stand. Es war die Kirche der einfachen Leute, die Gemeinde derer, die in den Vierteln nahe der Vorstadt wohnten, sich von ihrem Handwerk ernährten.
    Eine kleine Menschenmenge hatte sich bereits eingefunden. Auch die Haubenmacherin war unter ihnen. Schüchtern trat Tonia zu ihr. «Wer ist es?», fragte sie leise. «Für wen wird hier geläutet?»
    Die Haubenmacherin schrak zurück, spuckte Tonia vor die Füße, bekreuzigte sich dann mit verdrehten Augen und rannte beinahe davon. Tonia wandte sich an einen älteren Mann im gestopften Wams, der einen Eimer mit Fischen in der Hand hielt.
    «Die Frau eines Tuchmachergesellen hat es getroffen. Gestern Morgen war sie noch quietschgesund, am Abend ging’s ihr schon übel, und heute Morgen war sie tot. Man sagt, sie sei verhext worden. Und das grüne Halstuch, das sie getragen hatte am Abend, war heute Morgen ganz verblichen.»
    Tonia dankte, dann fasste sie sich an die Kehle, als könne sie das Schwert des Scharfrichters bereits spüren.Ihr wurde übel, der Boden unter ihr schwankte, schwarze Wolken zogen vor ihren Augen vorüber, wurden dichter und dunkler. Dann sah sie gar nichts mehr, spürte nur, wie sie fiel, doch den Aufprall fühlte sie nicht.
    Als sie wieder zu sich kam, lag sie auf einer Bank in der Weißbinderwerkstatt. Ruppert stand vor ihr: «Gott sei Dank, ich hatte Sorge um dich.»
    Behutsam legte er ihr einen kühlen Lappen auf die Stirn, während sie sich aufrichtete und ein paar Schlucke Wasser aus einem Becher trank.
    Neben Ruppert stand der Mann vom Römerberg. «Ja, die Weiber», sagte er und kratzte sich am Kopf. «Sie nehmen sich alles so zu Herzen und fallen bei jedem bisschen gleich in Ohnmacht. Und jetzt im Frühling, wenn alles wieder erwacht, da sind sie wohl noch schwach vom Winter.»
    Ruppert gab ihm einen Viertelgulden, bedankte sich. «Ich denke, wir kommen jetzt allein klar. Sie braucht ein wenig Ruhe, dann wird es schon wieder.»
    Der Mann biss auf den Gulden, nickte zufrieden, dann hob er die Hand zum Gruß und verließ die Werkstatt.
    Ruppert setzte sich neben Tonia auf die Bank und nahm ihre Hand. «Du musst weg», sagte er. «Ein Wunder war’s, dass es so lange gutging.»
    Er hatte die Stirn in Falten gelegt, seinen Augen fehlte der Glanz. Müde sah er aus und einsam, fand Tonia. Sie schüttelte den Kopf. «Ich kann nicht weg. Ich muss bleiben. Ob ich will oder nicht.»
    Jetzt nahm Ruppert beide Hände der jungen Zigeunerinin seine. «Du musst. Es ist keine Frage des Wollens. Du musst, wenn du dein Leben retten willst.»
    Sie sah ihn mit großen Augen an. «Und was wird dann aus Rosamund?», fragte sie.
    Ruppert antwortete nicht, sondern blickte zu Boden. «Ich weiß nicht, wie ich je an dir gutmachen kann, was du für uns getan hast», sagte er leise. Und Tonia antwortete: «Es ist mein Schicksal. Man kann es sich nicht aussuchen, und deshalb schuldet Ihr mir keinen Dank.»
     
    Am nächsten Morgen klopfte es in aller
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