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Das Maedchen mit den Schmetterlingen

Titel: Das Maedchen mit den Schmetterlingen
Autoren: Carol Coffey
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gewusst, was damals passiert war, aber dann war ihm das Thema immer zu peinlich gewesen, wohl wissend, dass er nur sechs Monate nach der Hochzeit auf die Welt gekommen war, einer Hochzeit, deren Jahrestag noch nie Anlass für eine Feier gewesen war. In Wirklichkeit wusste er, dass man an manche Wahrheiten am besten nicht rühren sollte. Schon als kleines Kind hatte er gespürt, dass er ihr Liebling war und ihr irgendwie näher stand als seine übrigen Geschwister.
    Seán wusste, dass er jetzt, mit einundzwanzig, Manns genug war, den Hof zu führen, und dass der Alte das einzige Hindernis zwischen ihm und seiner Zukunft war. Er lag im Bett und konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass das Leben für alle sehr viel besser gelaufen wäre, wenn nicht seine
arme Mutter, die immer auf seiner Seite gestanden hatte, gestorben wäre, sondern sein Vater.
     
    Jimmy Kelly saß zusammen mit seinem Sohn Liam in ihrer Stammkneipe und hing schweigend seinen Gedanken nach. Liam war zwar noch ein Halbwüchsiger, aber trotzdem sahen die beiden Männer eher aus wie Brüder, groß und hager, mit zerzausten, schwarzen Haaren und wettergegerbter Haut. Jimmy dachte an seine verstorbene Schwester Maura und an die Ereignisse, die vor über zwanzig Jahren dazu geführt hatten, dass Maura den Hof erbte, der eigentlich ihm und damit auch seinem Sohn zugestanden hätte. Er und seine Schwester hatten sich sehr nahe gestanden, zwei Verbündete in einem streng katholischen Elternhaus, wo sie fast täglich eine Tracht Prügel einstecken mussten, weil sie ein Gebot übertreten oder eine Sünde begangen hatten, und das noch bevor sie ihre Erstkommunion empfangen und überhaupt begriffen hatten, worum es dabei ging. Für die damalige Zeit war ihre Familie mit den beiden Kindern sehr klein gewesen - die meisten anderen hatten neun oder zehn Kinder -, und das hatte sie noch enger zusammengeschweißt. Jimmy war, wie viele andere in den Vierzigerjahren auch, an Tuberkulose erkrankt und in ein Sanatorium nach Dublin gebracht worden. Als sein geschundener Körper schließlich nur noch fünfzig Kilogramm wog, hatte sein Vater jede Hoffnung auf eine Genesung seines einzigen Sohnes aufgegeben. Und als er schließlich doch wieder gesund wurde, war das Geburtsrecht bereits auf seine Schwester und ihren Ehemann überschrieben worden.
    Jetzt war Maura tot, und ihr trunksüchtiger Ehemann ließ den Hof verkommen. Der Junge hatte sich gut entwickelt und versuchte wohl, den Betrieb am Laufen zu halten, doch als er seinen eigenen Sohn Liam neben sich sitzen sah, dem, genau
wie ihm selbst, das rechtmäßige Erbe gestohlen worden war, krampfte sich sein Herz verbittert zusammen.
    Während all der Jahre hatte Jimmy meistens in Dublin Arbeit gefunden und konnte wegen der langen Arbeitszeiten abends nicht nach Hause kommen, sodass seine Frau den Jungen alleine großziehen musste. Er gab sich die Schuld daran, dass Liam so geworden war, schließlich war er nie da gewesen, um ihm die Ohren lang zu ziehen. Aus einem Jungen, der nur von einer Frau erzogen wird, konnte nichts Vernünftiges werden. Anfangs hatte er Schwierigkeiten gehabt, in der Schule Freunde zu finden, später hatte er andere schikaniert und war mit vierzehn von der Schule geflogen. Mittlerweile war Liam dafür bekannt, dass er vor der Kneipe Streit anfing, wenn er zu viel getrunken hatte. Der Bursche war zwar ein harter Arbeiter, aber er besaß auch eine Unberechenbarkeit, die Jimmy Sorgen bereitete.
    Er nickte Liam zu, damit dieser sein Glas leerte, und nahm den letzten Schluck Bier. Dabei fiel ihm ein, dass er es vielleicht geschafft hätte, Maura zu überreden, die Sache wieder ins Lot zu bringen und das Land seinem rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben, wenn nicht sie, sondern Michael Byrne zuerst gestorben wäre. Ihren Seán hätte er mit ein paar Hektar abgefunden. Bestimmt hätte seine Schwester eingesehen, dass das vernünftig war. Und so konnte er sich des Gedankens nicht erwehren, dass nur ein einziges Hindernis zwischen ihm und seinem Bauernhof stand, und dieses Hindernis hieß Michael Byrne.

Kapitel 3
    1948
    W ährend Jimmys Erkrankung blieben seine Eltern die meiste Zeit in Dublin und ließen die siebzehnjährige Maura schweren Herzens auf dem Hof zurück, den sie mit Unterstützung eines Burschen aus Dublin, eines gewissen Éamonn McCracken, bewirtschaften sollte.
    Éamonns Mutter stammte aus Árd Glen und war nach ihrer Heirat mit einem Burschen aus Derry, den sie in Dublin kennengelernt
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