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Das Maedchen mit den Schmetterlingen

Titel: Das Maedchen mit den Schmetterlingen
Autoren: Carol Coffey
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dass in ihren dunkelblauen Augen weder Freude noch Traurigkeit zu lesen war. Er hatte sich, ohne es zu merken, allerhand Gedanken gemacht, wie sie wohl darauf reagieren würde, die Anstalt zu verlassen und nach Hause zu kommen, aber es schien sie nicht sonderlich zu berühren. Jedenfalls starrte sie die ganze Fahrt über aus dem dreckverkrusteten Seitenfenster des Lieferwagens.
    Die Stille machte Dermot nervös.

    »Um diese Zeit werden wir nicht lange brauchen, bei dem bisschen Verkehr.«
    Keine Reaktion.
    »Du freust dich bestimmt auf deine Familie. Es ist ja lange her.«
    Schweigen.
    »Gibst du denn keine Antwort, wenn man dich was fragt?«
    »Doch.«
    »Aber warum antwortest du dann nicht auf meine Fragen?«
    »Du hast mir keine Frage gestellt. ›Um diese Zeit werden wir nicht lange brauchen, bei dem bisschen Verkehr‹ und ›Du freust dich bestimmt auf deine Familie. Es ist ja lange her‹ sind keine Fragen.«
    Dermot starrte das seltsame Mädchen an und wunderte sich, dass sie seine Sätze Wort für Wort wiedergegeben hatte. Außerdem ärgerte er sich ein wenig darüber, dass sie Recht hatte: Er hatte ihr keine Frage gestellt.
    »Tut mir leid«, erwiderte er. »Du hast Recht. Das waren keine Fragen.«
    »Ich weiß«, entgegnete Tess kühl und sah wieder aus dem Fenster.
    Sie wollte nicht mit diesem Mann reden, den sie noch nie gesehen hatte. Sie wollte jede Minute dieser Fahrt genießen, rasch das lärmende Dublin hinter sich lassen und Wicklow mit seinen Bergen und Seen wiedersehen. Hoffentlich war noch alles so wie in ihrer Erinnerung. Dermot spürte, dass sie in Ruhe gelassen werden wollte und trat aufs Gas. Er war ohnehin nicht der geborene Unterhalter, aber hier war Hopfen und Malz verloren. Mit ihr war gar keine Unterhaltung möglich. Er wollte diese Aufgabe so schnell wie möglich erledigen und sich wieder der Tätigkeit widmen, die ihm die liebste war: die Tiere versorgen.

Kapitel 2
    1970
    D er Sommer in Árd Glen war immer eine herrliche Zeit. Alle Welt schien fest entschlossen, den trübseligen Winter und die harte Arbeit des Frühjahrs zu vergessen, sich zu entspannen und die Früchte der Arbeit zu genießen. Bei den Byrnes jedoch war es anders, bei den Byrnes war immer alles anders. Maura Byrne hütete seit nunmehr über einem Jahr das Bett, weil sie nach der Geburt ihres jüngsten Sohnes von einer schweren Depression befallen worden war, die nicht weichen wollte. Später diagnostizierten die Ärzte bei ihr eine seltene Krankheit, die die Betroffenen vorzeitig altern und verwirrt werden ließ. Präsenile Demenz, wie es hieß. Anfangs stand sie manchmal mitten in der Nacht auf und verließ das Haus, immer auf der Suche nach etwas, das sie nicht in Worte fassen konnte. Später fand sie überhaupt keine Worte mehr und murmelte nur noch vor sich hin. Manchmal fing sie plötzlich an zu schreien, weil sie sich bedroht fühlte, und war schließlich völlig ans Bett gefesselt, wo Kate und Tess sie Tag und Nacht pflegten. Immer, wenn Maura zum Arzt gefahren werden musste, war Michael Byrne in der Dorfkneipe zu finden, und wenn er dann noch nüchtern genug war, brachte er seine Frau in die nächstgelegene Stadt, wo der einzige Arzt im Umkreis von dreißig Kilometern wohnte. Angesichts der zahlreichen Tierärzte in der näheren Umgebung war es ein gängiger
Scherz unter den Dorfbewohnern, dass eine kranke Kuh in Árd Glen besser dran war als ein kranker Mensch.
    Als Maura ihren letzten Atemzug tat, weinte niemand außer Kate. Ihr Vater hielt reumütig den Kopf gesenkt und stank nach dem Whiskey, mit dem er sich bis in die frühen Morgenstunden hatte volllaufen lassen. Wie sie da in dem billigen Holzsarg lag, erinnerte nichts mehr an die strahlende Dorfschönheit, die sie einst gewesen war. Ihr fast vollständig ergrautes Haar war früher rabenschwarz gewesen, ihre dunkelblauen Augen von einem blassen, makellosen Teint umgeben. Jetzt hatte das Elend ihres Ehelebens tiefe Furchen in ihr Gesicht gegraben, und auf ihre fahle Haut fielen dunkle Schatten, als der Sargdeckel zugeklappt wurde.
    Kates Tränen galten in Wirklichkeit weniger ihrer Mutter als ihr selbst. Sie hatte im Stillen gehofft, dass ihre Mutter diese seltsame Krankheit überwinden und die Verantwortung für den Haushalt wieder übernehmen würde. Was sollte nun ohne Maura aus dem Baby werden, dazu Tess mit allen ihren Problemen? Sie wusste, dass Noel, so herzensgut er auch sein mochte, den Kleinen nicht bei sich aufnehmen wollte.
    Seán stand
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