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Das Maedchen mit den Schmetterlingen

Titel: Das Maedchen mit den Schmetterlingen
Autoren: Carol Coffey
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sein, den er mittlerweile sein Zuhause nannte.
    Dermots Tage verliefen immer gleich. Er kümmerte sich um das Vieh, mistete die Ställe aus, und wenn Seán Byrne nüchtern genug war, gingen sie zusammen auf den Markt. Doch heute Morgen war alles anders. Dermot wunderte sich, dass Seán und Kate Byrne nicht selbst nach Dublin fuhren, um ihre Schwester abzuholen, die, wie er dem Dorfklatsch entnehmen konnte, »nicht alle Tassen im Schrank hatte«. Diese Aufgabe war ihm unangenehm, und es wäre ihm ausnahmsweise lieber gewesen, wenn einer der Byrnes ihn begleitet hätte. Warum holten sie sie nicht selber ab? Warum lebte sie überhaupt in so einer Anstalt? War sie vielleicht wirklich nicht ganz dicht und wurde auf der Rückfahrt womöglich handgreiflich?
    All diese Fragen verdüsterten Dermots normalerweise heiteres Gemüt, bis er mit Kopfschmerzen und Magenkrämpfen die Anstalt erreichte. Sein Vater hätte sich totgelacht, wenn er gewusst hätte, was sein Sohn an diesem Morgen trieb. Allein der Gedanke daran machte Dermot wütend.
    Im Wartebereich der Klinik trat er unruhig von einem Fuß auf den anderen. Schließlich erschien ein stattlicher Mann, der aussah, als hätte er hier etwas zu sagen. Sein Lächeln wirkte eher nervös als freundlich.

    »Guten Tag, ich bin Dr. Cosgrove«, stellte er sich vor und schüttelte Dermot ein wenig zu enthusiastisch die Hand. »Ich bin Psychiater. Und Sie müssen Seán sein, der Bruder von Tess?«
    Dermot spürte, wie er rot wurde. Er war es nicht gewöhnt, mit gebildeten Menschen wie diesem Psychiater zu sprechen, und außerdem hatte der Mann anscheinend Dermots Arbeitgeber erwartet.
    »Ähm, nein, ich … ich meine … ich arbeite für die Familie Byrne … sie haben mich hergeschickt, um sie abzuholen … also, Tess, meine ich.« Dermot bemerkte die entsetzte Miene des Arztes und wusste beim besten Willen nicht, was er noch sagen sollte.
    Nach einer Ewigkeit, wie es ihm schien, entgegnete der Arzt: »Sind die Angehörigen denn krank geworden … ist etwas passiert?«
    »Nein«, erwiderte Dermot. Er wusste nicht, welche Antwort seine Arbeitgeber in ein halbwegs freundliches Licht hätte rücken können, schließlich empfand auch er es als äußerst unhöflich, dass sie nicht selbst hergekommen waren. »Sie haben mich nur gebeten, hierherzufahren. Ich heiße Dermot Lynch und arbeite auf dem Hof …« Seine Stimme wurde immer leiser, je weiter sich das ungläubige Staunen auf dem Gesicht des Arztes ausbreitete.
    »Aber sie kennt Sie doch, sie hat Sie schon einmal gesehen, oder?«
    »Nein, Sir, ähm, Herr Doktor … ich hab erst vor ein paar Monaten dort angefangen. Wollen Sie sie anrufen? Ich meine … nachprüfen, wer ich bin und so weiter?«
    Dr. Cosgrove starrte den jungen Mann ungläubig an. Er konnte nicht glauben, dass Tess’ Angehörige, die doch um ihren Zustand wussten, sie von einem völlig fremden Menschen
abholen ließen. Plötzlich kamen ihm schwere Bedenken gegen ihre Entlassung, aber er wusste, dass er letztlich machtlos war. Sie war schließlich erwachsen und konnte nicht länger auf dieser Station bleiben. Eigentlich hätte sie schon nach ihrem achtzehnten Geburtstag in die Erwachsenenabteilung verlegt werden müssen, aber er hatte alles in seiner Macht Stehende unternommen, um das zu verhindern, und darauf verwiesen, dass die Erwachsenenabteilung für ihre Störung ungeeignet war. In den ersten Jahren hatte er immer wieder befürchtet, dass sie dort enden und den Rest ihres Lebens in einer Pflegeeinrichtung verbringen würde, aber irgendwann hatte sie sich eingelebt, und so hatte er keinen Grund gesehen, sie nicht in den Schoß ihrer Familie zu entlassen. Bis jetzt. Es hatte ihn zwar beunruhigt, dass ihre Angehörigen sie in all den Jahren nie besucht hatten, aber er wusste auch, dass Tess’ Geschwister durch den Tod ihrer Eltern, die alleinige Verantwortung für den Hof und die Pflege des jüngeren Bruders sehr belastet waren. Eigentlich hätte Tess schon vor einigen Jahren entlassen werden können, aber ihre Geschwister hatten nie auf seine Bitten reagiert, sich an den Entwicklungsgesprächen zu beteiligen. Die große Schwester schickte zu jedem Geburtstag und zu Weihnachten ein Geschenk, aber Cosgrove hatte sich doch gefragt, warum sie Tess nicht wenigstens gelegentlich besuchten. Und jetzt das! Sie brauchte doch ein vertrautes Gesicht und nicht das eines Fremden, vor dem sie mit Sicherheit Angst hatte. Der Arzt fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und wandte
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