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Das Mädchen in den Wellen

Das Mädchen in den Wellen

Titel: Das Mädchen in den Wellen
Autoren: Heather Barbieri
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Spiegel. Als Owen da gewesen war, hatte sie anders ausgesehen, wie verwandelt. Weil er sie begehrt und wahrgenommen hatte. Jetzt wirkte sie angespannt und matt. Sorge selbst für dein Glück, ermahnte sie sich. Und halte es fest.
    Sie war tatsächlich glücklich gewesen hier auf der Insel. Mit oder ohne Owen, wer oder was er auch immer sein mochte. War es möglich …?
    Einmal hatte sie ihre Mutter ertappt, wie sie genauso, mit gehetztem Gesichtsausdruck, vor dem Spiegel saß.
    »Was ist, Mama?«, hatte Nora sie gefragt.
    Welcher Art war Maeves Unglück gewesen? Nora konnte es nur erahnen.
    Sie öffnete die Tür. Der Koffer stand immer noch da und verspottete sie. »El, ich habe dir gesagt …« Da sah sie Papier im Kamin brennen: die Unterlagen über die Trennung. »Was hast du dir dabei gedacht?«
    »Jetzt musst du zurück nach Boston.«
    »Nein. Ich brauche die Papiere deines Vaters nicht. Ich reiche meine eigenen ein. Und du gehst jetzt sofort in dein Zimmer.«

DREIUNDZWANZIG
    A ls das Märchenbuch mitten in der Nacht auf den B o den fiel, wachte Annie auf. Sie hatte unter der Bettdecke gelesen und war eingeschlafen. Auf ihrer Hand zeichnete sich der Abdruck eines der geprägten Buchstaben darauf, eines gotischen A ab. Sie fuhr die Umrisse mit dem Finger nach. Es war, als hätte das Buch begonnen, ihren Namen zu buchstabieren. Als sie sich bückte, um es aufzuheben, sah sie, wie Ella aus dem Fenster kletterte. Ihre Blicke trafen sich, eine stumme Frage: Kommst du mit? Annie zog Jacke und Stiefel an und nahm Siggy mit. Er war bereits einmal zurückgelassen worden.
    Draußen wies ihnen das Mondlicht, das das Wasser mit einem langen, schimmernden Streifen erhellte, den Weg durch die Dunkelheit zum Strand.
    Ella zog das Ruderboot über den Sand. »Bist du noch der Erste Maat?«
    »Ja. Warum ziehst du das Boot ins Wasser?«
    »Weil wir heimfahren.«
    »Aber du hast so gut wie nichts dabei.«
    »Wir müssen mit leichtem Gepäck reisen. Mom bringt den Rest, sobald sie nach Boston kommt.«
    Annie stieg ein. Was hätte sie sonst tun sollen? Sie hätte sich gewünscht, dass Ronan da gewesen wäre, um sich von ihm verabschieden zu können. Oder war er bereits weitergezogen wie Owen, die beiden endlich vereint? Jedenfalls konnte sie Ella nicht allein losfahren lassen. Ella kannte das Meer nicht wie sie. Sie ruderten zum äußeren Ende der kleinen Bucht. Keine Spur von den Seehunden. Vielleicht schliefen sie; vielleicht waren sie auch auf der Suche nach besseren Jagdgründen weitergezogen. Sie und Ella waren allein nie so weit draußen gewesen. Das Verandalicht des Cottage wurde von Sekunde zu Sekunde kleiner. »Hast du einen Zettel dagelassen?«, fragte Annie.
    »Warum?«
    »Damit sie sich keine Sorgen macht. Sie macht sich bestimmt Sorgen.«
    »Wir sind ihr nicht wichtig. Sie findet sich nur selbst wichtig.«
    »Das stimmt nicht.«
    Das Boot schien sich ganz den Wellen zu überlassen.
    »Du musst fester rudern«, sagte Ella. »Nach links, nach Süden.«
    »Zu den Rossbreiten?«
    Ella lachte. »Ja.«
    »Schau, den habe ich mitgenommen.« Sie reichte Ella den Kompass.
    »Du diebische Elster«, sagte Ella bewundernd. »Gut gemacht.«
    Sie fuhren in die Nacht. Annie wusste nicht, wie lange. Im Kanal verging die Zeit langsam, weil die Strömungen sie zurückhielten. Es war, als wollte die Insel sie nicht loslassen. Ella sagte, dass sie nicht aufgeben durften – egal wie viele Blasen sie an den Händen bekamen und wie sehr ihre Arme schmerzten. Sie hatte Annie erklärt, was sie tun würden, sobald sie Boston erreichten: Sie würden sich von einem Seemann oder einem Werftarbeiter ein Handy borgen, ihren Vater anrufen und ihn bitten, sie zu holen. Er würde überrascht und stolz sein über ihre Leistung. Er würde begreifen, wie sehr sie ihn liebten, was sie bereit waren für ihn zu tun. Er würde sie zum Essen ausführen, zu dem Chinesen, zu dem sie so gern gingen, und sie würden ihre Zukunft in den Glückskeksen lesen, nur gute Dinge, und sie würden sich bei Tisch schrecklich schlecht benehmen, weil ihre Mutter sie nicht schelten konnte.
    »Und was ist mit Mama?«, fragte Annie.
    »Was soll mit ihr sein?«
    Das Wasser wurde schwarz und zähflüssig wie Öl, schlug murmelnd gegen die Bootswand, drängte sie in höher werdenden Wellen nach rechts.
    »Ein Sturm zieht auf«, stellte Annie fest. »Weißt du noch, was Reilly gesagt hat? Dass das Meer unberechenbar ist. Das Wetter kann von einer Minute auf die andere umschlagen. Das
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