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Das Mädchen, das nicht weinen durfte

Titel: Das Mädchen, das nicht weinen durfte
Autoren: Khadra Sufi
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Fernsehen schaute sie sich gern Berichte über das englische Königshaus an, klatschte begeistert in die Hände und rief laut »Ahhh!«, wenn sie Prinzessin Diana sah.

    Abends kämmte sie ihre langen, schwarzen, leicht gewellten Haare, die ihr bis zum Po reichten. Ich hätte auch so gern Mamas Haare geerbt, aber stattdessen hatte ich meinem Papa die Afro-Matte zu verdanken, die mir schon als Kind zu schaffen machte. Man kam mit keinem Kamm durch diese Haare, deshalb versuchte ich diese Prozedur am liebsten zu umgehen. Manchmal beauftragte Mama unsere Haushälterinnen, sich an mich heranzuschleichen, um mich zu kämmen, während ich meinen Mittagsschlaf hielt, aber es ziepte so stark, dass ich sofort wach wurde und mich umdrehte oder weglief. Ich wollte mich nicht damit abfinden, dass ich so krauses Haar hatte, ich wollte auch eine schöne, wallende Mähne, also improvisierte ich eines Tages. Ich ging ins Badezimmer und suchte ein Handtuch. Ein lilafarbenes war das erste, was ich in die Finger bekam. Das legte ich mir um den Kopf und rannte durchs ganze Haus, so schnell, dass es hinter mir her wehte. Unsere Hausangestellten sahen mir ganz verdutzt nach, als ich an ihnen vorbeidüste. Ich rannte in den Garten und am Zaun entlang. Eine Frau lief gerade neben dem Zaun auf dem Bürgersteig und sah mich lächelnd an. »Aha, sie findet meine neuen Haare also auch schön!«, dachte ich.
    Papa brachte mich eines Tages zum Friseur in der Nachbarschaft. Als wir den Laden betraten, sah mich die Friseurin ungläubig an, so als hätte sie noch nie einen Menschen mit krausem Haar gesehen. Es war eine junge Frau mit kurzen, blonden, dauergewellten Haaren. Papa ließ mich im Salon und sagte ihr, sie solle mir einen schönen Schnitt machen. Sie griff mir ratlos in die Haare und wusste nicht, was sie damit anstellen sollte. Mir passte das Ganze sowieso nicht, denn ich ließ am liebsten gar niemanden an meine Haare, ich hasste es, wenn jemand versuchte, mich zu frisieren. Und die Friseurin zuckte mit den Schultern:
    »Wie soll ich’n da durchkommen?!« Sie drehte sich um und im Spiegel sah ich, wie sie nach hinten auf eine Schublade zusteuerte, in der sie herumkramte. Als ich sah, was sie in der Hand hielt,
wollte ich wegrennen. Es war ein winziger roter Plastikkamm, seine Zacken waren so klein, dass man ihn zum Entlausen von Hamstern hätte benutzen können. Wie kam sie nur auf die Idee, damit meinen Afro bändigen zu wollen? Aber die Friseurin hatte offensichtlich noch mehr Angst als ich und tastete sich vorsichtig durch mein Haar.
    »Aua, au!«, schrie ich immer wieder auf, bevor sie überhaupt richtig loslegen konnte. Da kam Papa wieder in den Salon. Er hatte mir ein Eis geholt, weil er schon ahnte, dass dieser Friseurbesuch nur mit einer Bestechungsaktion gelingen konnte. Doch die Friseurin und ich waren schon total entnervt. »Komm schon, Njunja! Sie will dir doch nur die Haare schön machen«, versuchte Papa mich zu beruhigen. Aber wir kamen nicht voran, entgeistert gab die Frau schließlich auf.
    »Das macht keinen Sinn, wenn die Kleene nicht will …« - »Okay, okay«, erwiderte Papa und hielt mir seine Hand hin. »Komm, Njunja! Wir gehen wieder.« Erleichtert sprang ich aus dem Frisierstuhl, schnappte mir das Hörnchen, an dem schon das Vanilleeis herunterlief, schleckte es genüsslich ab und verschlang am Ende noch die Waffel. Ich hatte es mir verdient.
    Njunja, das war nicht mein richtiger Name. Khadra ist arabisch und bedeutet »das Grün der Natur«. Njunja war mein Kosename, den Papa mir gegeben hatte, weil sich das erste Wort, das ich als Kind von mir gegeben hatte, so anhörte. Nanna rief er Ingaay, weil es sich so anhörte, wenn sie weinte: »Ingaaayyyyhhhhh!«

Mit nichts aufzuwiegen: wahre Freundschaft
    Wenn mein Papa in der Botschaft war, war ich zwar zu Hause nie allein, aber ich fühlte mich so. Natürlich war meine Mutter da, meine Ayeya und die Haushaltshilfen, aber keiner beschäftigte sich wirklich mit uns Kindern. Wenn Papa dann endlich nach
Hause kam, brachte er uns oft etwas mit, meist waren es Spielsachen, die er in Westberlin gekauft hatte, Legosteine, Rollschuhe, Autos, Barbie & Ken, kurz: einfach alles, was ein Kinderherz begehrt. Die Nachbarskinder waren deshalb oft bei uns. Die meisten von ihnen kannte ich gar nicht, aber es hatte sich schnell herumgesprochen, dass es bei uns viele Spielsachen gab, also kamen sie vorbei und spielten in unserem Hof vor der Garage. Ich freute mich, wenn so viele
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