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Das Mädchen, das nicht weinen durfte

Titel: Das Mädchen, das nicht weinen durfte
Autoren: Khadra Sufi
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Schlafzimmer, die andere Seite des Ehebettes war leer. »Wo ist Mama?«, fragte ich ihn. Es war ungewohnt, sie nicht neben ihm zu sehen. Obwohl sie still und unauffällig war, war sie trotzdem immer da, stets an Papas Seite.
    »Njunja, Mama kommt bald wieder. Komm, gehen wir in die Küche, ich mache dir etwas zu essen.« Es war schon spät und im Haus schliefen alle. Das mit dem Essen war aber trotzdem eine gute Idee, weil ich Hunger hatte. Wir liefen den langen Flur entlang zur Empfangshalle und dann in die Küche. Er stellte eine Pfanne auf den Herd und schlug zwei Eier hinein.
    »Wo ist denn die Mama?« Er rührte die Eier in der Pfanne, so, als wolle er nicht den richtigen Zeitpunkt verpassen, sie herauszuholen, und als brauche das seine ganze Konzentration, aber dann antwortete er doch.
    »Mama ist auf einem Schiff.«
    »Auf einem Schiff?«
    »Ja, auf einem großen Kreuzfahrtschiff mit viel Musik und netten Menschen, die Spaß haben.« Er nahm das Rührei aus der Pfanne und es dampfte auf meinem Teller. Er gab mir Besteck und setzte sich mit mir an den Küchentisch. Ich aß einen Happen: Tatsächlich war es das leckerste Rührei, das ich jemals gegessen habe. Ich wunderte mich darüber, dass er es so gut hinbekommen hatte, denn ich hatte meinen Papa noch nie zuvor am Herd gesehen.
    Ich hatte noch viele Fragen, aber meine Gedanken schweiften ab. Ich stellte mir vor, wie Mama auf diesem großen Kreuzfahrtschiff war und Spaß hatte. Ich konnte sie genau vor mir sehen, wie sie eines ihrer bunten Kleider und eine Blume im langen, offenen Haar trug. Es ging ihr gut und ich freute mich für sie. Erst später erfuhr ich, dass Papa mir nicht die Wahrheit gesagt hatte.
Meine Mutter war nicht auf einer Kreuzfahrt, sondern sie lag im Krankenhaus auf der Intensivstation: Sie war schwanger gewesen, und es gab Komplikationen bei der Geburt. Mama hatte viel Blut verloren und es dauerte einige Tage, bis sie aus der Klinik entlassen werden konnte.

Ein großer Verlust
    Mama brachte einen kleinen Engel mit, Sami. Er war ein so hübsches Baby, mit hellbrauner Haut, großen schwarzen Augen, wie sie meine Mutter hatte, und süßen Pausbäckchen. Ich habe ihn nie weinen sehen, sein Lächeln machte uns allen große Freude, und deshalb konnte keiner genug von ihm bekommen, alle rissen sich darum, als Nächster mit ihm zu spielen. Bei Born in the USA von Bruce Springsteen wippte er seinen kleinen Körper zur Musik und versuchte im Takt in die Hände zu klatschen. Er war einfach zum Knuddeln lieb und ein kleiner Frechdachs …
    Dabei hatte er viele Schmerzen zu ertragen. Einmal musste meine Mutter sogar mit ihm ins Krankenhaus, weil der Kleine Probleme beim Wasserlassen hatte. Ich war mit im Untersuchungszimmer, als die Ärztin ihm eine lange Röhre in den Harnweg schob. Der kleine Sami krallte sich vor Schmerzen an ihre Schulter, meine Mutter konnte nicht hinsehen und kniff die Augen zusammen. Aber Sami war tapfer.
    Ein paar Monate später musste er wieder ins Krankenhaus. Während die Schwestern ihn mit in den Operationssaal nahmen, mussten meine Mutter, meine Schwester Nanna und ich in der Halle warten, sehr lange warten. Mama war angespannt, die Situation bedrückte sie und ich weiß noch, wie ich alle paar Minuten zur Tür starrte und hoffte, sie würde aufgehen und wir könnten Sami wieder mit nach Hause nehmen. Ich wusste, dass er bestimmt wieder tapfer sein musste. Nanna wurde quengelig
und kratzte sich an den Beinen. Sie hatte empfindliche Haut und ihre Strumpfhose juckte, also zog Mama ihr sie aus und steckte sie in ihre Handtasche.
    Endlich kam die Ärztin durch die Tür, es war dieselbe, die Sami schon einmal behandelt hatte. Sie blickte meine Mutter mit ernster Miene an, ihre Stirn war gerunzelt, und sie rief uns in ein Besprechungszimmer. Als wir reinkamen, legte sie ihre Hand auf Mamas Schulter und schüttelte nur mit dem Kopf. Mama fing an zu weinen. Ich wusste nicht, was sie hatte, sie schrie nicht, so wie ich es kannte, wenn sie sich mit Papa stritt und vor Wut weinte. Die Ärztin sagte nichts und verließ das Zimmer. Mama nahm Nanna hoch und stellte sie auf die Behandlungsliege. Sie öffnete ihre Tasche, holte die rote Strumpfhose heraus und zog sie ihr wieder über die Pampers. Die Tränen liefen ihr über die Wangen und sie schluchzte. Dann fuhren wir nach Hause, ohne Sami.
    Ich muss so verwirrt gewesen sein, dass ich mich nicht erinnern kann, was genau in den Tagen danach passierte. Aber irgendwann fragte ich meinen
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