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Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman
Autoren: Rebecca Hohlbein
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die klugen, großen Menschen, die immer alles besser wussten, erstmals von oben sah. Ich fühlte mich groß und erhaben – und vor allem frei. Ziemlich albern aus heutiger Sicht, und verwerflich aus der der Erwachsenen – aber ich war ja noch ein Kind.
    Der Name meiner Stute hätte meinen Eltern bestimmt nicht gefallen. Selbst mit sieben war ich nicht mehr dumm genug, um mir das nicht denken zu können. Darum ließ ich in ihren Sattel einen anderen, für ein Pferd gängigen Namen gravieren: Für meine Eltern und alle, die es wissen wollten, aber nicht sollten, hieß Freiheit einfach nur Mina.
    Freiheit war an den Klippen zurückgeblieben, auf denen Hohenheim, unser Palast mit all seinem Korallengestein, seinen gläsernen Wänden und dem riesigen, goldenen Haupttor thronte, durch das mehrere Reiter nebeneinander gepasst hätten.
    Euer Haus hat einen Namen?
    Bei uns hat so ziemlich alles einen Namen. Auch dein Volk. Ihr nennt euch selbst einfach nur Menschen, aber für uns bist du ein Makateke. Ein Küstenaffe.
    Bitte sei mir nicht böse. Ich habe mir das nicht ausgedacht, ich sage dir nur, wie es ist. Und es gefällt mir kein bisschen – darum habe ich für dich und all die anderen, die so oder ähnlich sind wie du, gekämpft. Bitte hör mir bis zum Ende zu, ehe du ein Urteil fällst, in Ordnung?
    Freiheit scharrte also am Fuß der Klippen mit den Hufen im Sand und schnaubte dann und wann zufrieden. Es war ein herrlicher Sommertag, der sich nun langsam seinem Ende zuneigte. Das Wasser, das meine nackten Zehen umspielte, war angenehm warm, und das Licht der frühen Abendsonne tanzte gelb und orange auf den Wellen. Ich hob die Arme und spielte, dass ich die nächste schäumende Welle an den Strand rief, und sobald das Wasser meine Knöchel erreichte, machte ich eine Geste, als ob ich sie wieder zurückschob.
    »Komm!«, rief ich in die Fluten hinaus. »Und weiche!«
    Komm und weiche, immer wieder, und das Meer, so stellte ich mir vor, gehorchte nur mir allein. Ich fühlte mich groß. Nicht mein Volk oder zumindest die sechs Faronen, sondern ich allein beherrschte das Meer.
    Eine Hand senkte sich auf meine Schulter herab, und ich erschrak und wirbelte herum. Es war Sora, mein Bruder, der mich damals um mehr als zwei Köpfe überragte, obwohl er nur drei Sommer vor mir geboren ist. Er grinste neckisch zu mir herab.
    »Verzeih, kleine Faronin«, entschuldigte er sich scherzhaft und hob abwehrend die Hände, als er den Schrecken in meinem Gesicht ausmachte. »Ich wollte dein herrschaftliches Treiben nicht stören.«
    Ich errötete. »Tust du nicht«, log ich. »Ich habe nur … Stechgetier vertrieben. Es greift heute wieder in Schwärmen an.«
    Sora lachte. »O ja. Um diese Jahreszeit ist es besonders lästig.« Er ließ sich in den warmen weißen Strandsand fallen. »Nur gut, dass es dir aufs Wort gehorcht, Schwester. Zumindest scheint es tatsächlich das Weite gesucht zu haben. Ich sehe kein einziges dieser blutsaugenden Ungeheuer mehr. Komm. Setz dich zu mir.«
    Ich versteifte mich und blieb stehen. Nein, ich hatte keine Angst vor meinem Bruder. Ich liebe ihn, und er vergöttert mich regelrecht. Das hat er zumindest noch getan, als wir uns zum letzten Mal gesehen haben. Es war nur gesunde Skepsis, weißt du? Ich meine: Er ist nun mal mein großer Bruder, und wenn große Brüder zu nett sind, dann ist Vorsicht angemahnt. Das war mir schon mit sieben völlig klar. Sora ist ein Scherzkeks von der Sorte, die überrascht in eine Richtung deuten und dir den Stuhl unter dem Hintern wegziehen, während dein Blick seinem Fingerzeig folgt.
    Also untersuchte ich den Sand neben ihm sehr aufmerksam, ehe ich seiner Bitte doch misstrauisch Folge leistete. Aber er war nicht darauf aus, mich zu ärgern.
    Stattdessen legte er den Arm um meine Schultern und zog mich zu sich heran, während er eine Weile schweigend aufs Meer hinausschaute. Er lächelte, aber irgendetwas wirkte nicht richtig daran. Heute weiß ich, dass da Traurigkeit auf seinem Lächeln lastete, und ich weiß auch, worauf sie beruhte. Aber damals kam es mir einfach nur falsch vor …
    Er hat mir sein Geheimnis lange verschwiegen.
    Nach einer kleinen Ewigkeit, in der ich mich zunehmend unwohl fühlte, sah er mich endlich wieder an. Und dann sagte er es zum ersten Mal.
    »Irgendwann wirst du genauso schön sein wie deine Mutter«, prophezeite er also und strich mir eine Locke aus der Stirn, »obwohl du den Eierkopf deines Vaters geerbt hast.«
    »Moijo sagt, mein Eierkopf
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