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Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman
Autoren: Rebecca Hohlbein
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deutete.
    Chita hingegen war zwar recht überheblich, allem voran aber wunderschön, obwohl sie auch jetzt, da er zumindest ihrem Körper alle Göttlichkeit aberkannt hatte, mit ihrer hellen Haut, ihrem schmalen, fast zerbrechlich wirkendem Körperbau und natürlich dem goldenden Haar noch immer ein wenig befremdlich auf ihn wirkte. Und letztlich, überlegte er, während er wieder in die einzig falsche Richtung ruderte, fand man immer irgendwann an Land zurück, sofern man nicht über den Rand der Welt hinauspaddelte. Da konnte sie ihm erzählen, was sie wollte. Und geschah Letzteres doch, dann holten einen die Götter und befreiten einen von allen Qualen und Sorgen.
    Blieb nur zu beten und zu hoffen, dass er bis dahin genug Buße getan hatte …
    »Jetzt habe ich mich schon wieder völlig verrannt«, seufzte Chita nach einer kleinen Weile. »Die Welt, wie ich sie kennenlernte … In genau dieser Reihenfolge, damit auch du sie verstehst. Also: An diesem Tag zeigte mein Bruder mir einen geheimen Weg. Einen Weg in die Freiheit.«

4
    Z ur rechten Seite hin kann man einige hundert Schritte am Strand entlanglaufen, bis man den Anleger erreicht, der zu jeder Tages- und Nachtzeit von einem guten Dutzend bis an die Zähne bewaffneter Krieger und einem ganzen Rudel gut ausgebildeter Hunde bewacht wird. Der Anleger grenzt an das Kriegerhaus, in dem sich neben den Schlaflagern der Wächter auch die Buchkammer mit dem Buchführer befindet, der alles, was am Anleger von den Manas an Land verfrachtet wird oder den umgekehrten Weg bestreitet, akribisch dokumentiert; selbst die Ratten und Fruchtfliegen, wie Sora manchmal scherzte.
    Die nördliche Wand des Kriegerhauses geht nahtlos in den Wall über, wie wir die Befestigungsanlage nennen, die einen riesigen Halbkreis um den Grund beschreibt, der zu unserem Anwesen gehört. Das Plateau, auf dem sich der Palast befindet, bildet seinen Abschluss.
    Auch auf dem Wall patrouillieren natürlich immer zahlreiche Krieger. Es gibt drei Passagen, doch ohne Erlaubnis meines Vaters kommt niemand an den Kontrolleuren vorbei, die ebenso gut gepanzert und bewaffnet sind wie die Wachen am Anleger, und über die wir nie Scherze machen, denn sie verstehen keinen Spaß.
    Auf dem Korallengestein, aus dem die zusätzliche Wehrmauer Hohenheims besteht, wachen weitere Männer mit Fernschauern – das sind gläserne Konstruktionen, die das Sichtfeld vervielfachen. Diese Leute behalten das Meer und das nördliche Umland im Auge, das bis an die Küste dicht bewaldet ist. Im Nordwald gibt es ein paar Dörfer, aber keins davon zählt mehr als fünfzig Einwohner, die in beengten Reetdachhäusern leben.
    Die nächste große Stadt, Kirm, liegt einen halben Tagesmarsch westlich von Hohenheim. Dorthin führt die einzige befestigte Straße, die am Anleger beginnt. Aber allein schon der Wall rückt die Straße in für uns Kinder unerreichbare Ferne.
    Ja, ich war eine Gefangene im eigenen Haus. Doch damals sah ich das noch nicht so. Unter diesen Gegebenheiten war ich geboren – die Zeit, in der ich all das ernsthaft infrage zu stellen begann, sollte erst später kommen.
    An diesem Tag legte mein Bruder den Grundstein dafür. Er grub das Fundament für meinen Wunsch nach echter Freiheit.
    Linker Hand reichen Korallenriffe vom Fuß der Klippen aus bis weit ins Meer hinein und bilden so eine Art natürliche Befestigungsanlage. Fast natürlich jedenfalls. Dort, wo das Riff nicht ohnehin viel zu steil ist, um es zu erklettern, hatte schon mein Großvater goldene Streben ohne Zahl in das löchrige Gestein treiben lassen, deren Enden mit messerspitzen Widerhaken versehen sind.
    »Was hast du vor?«, erkundigte ich mich, als Sora mich nun genau dorthin führte.
    Meine Euphorie duckte sich hinter neuerlicher Skepsis. Tatsächlich fröstelte ich sogar ein wenig, denn ich befürchtete, er würde von mir verlangen, mit ihm das Riff hinaufzuklettern, was einem Selbstmord gleichgekommen wäre. Die Geschosse der Wächter mit den Fernschauern vermögen noch Ziele in dreihundert Schritt Entfernung mit höchster Präzision zu erwischen, und unsere Krieger sind darauf trainiert, erst zu schießen und dann zu fragen.
    Aber Sora sagte: »Zieh dich aus.«
    »Warum?«, wunderte ich mich, aber statt mir etwas zu erklären, zog er mich unter einen Vorsprung am Strand, der vom Schloss aus nicht einsehbar war, und streifte seine eigenen Beinkleider ab, sodass er in aller zehn Sommer zählenden Mannespracht vor mir im Schatten stand, was mich
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