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Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman
Autoren: Rebecca Hohlbein
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nicht zuletzt, um sich selbst von der Sache mit dem Küstenaffen abzulenken. Er wollte über nichts urteilen, ehe er nicht alles gehört hatte. Aber ein bisschen beleidigt war er trotzdem. »Nicht Nahrung, Gesundheit und Kleidung scheinen mir das begehrteste Gut«, sagte er, »sondern Freiheit. Das Selbstverständlichste auf der Welt. Als hätte man euch eingesperrt, wie Rinder, die gleich flüchten oder zu einer Gefahr werden, sobald man das Gatter öffnet. Wart ihr denn eine Gefahr?«
    Er nahm einen winzig kleinen Schluck von dem Wasser aus dem Krug und reichte ihn an Chita weiter, die mit den Schultern zuckte, während sie ebenfalls – aber bedeutend gieriger – trank und den Blick wieder an ihm vorbei in die Ferne schweifen ließ. Aber das Glitzern der Abendsonne auf den Wellen blendete ihre Augen, sodass sie schließlich auf das Holz zu ihren Füßen hinabsah.
    »Vielleicht war ich das wirklich«, antwortete sie nach einer Weile und erweckte dabei den Eindruck, eher zu sich selbst als mit Froh zu sprechen. »Vielleicht bin ich es immer noch. Zumindest in den Augen meines Vaters.
    Aber damals waren wir noch kleine Kinder. Unser Hunger nach Wissen und unser Durst nach Abenteuern war schier unstillbar. Freiheit – das ist etwas Verbotenes. So wie berauschende Kräuter oder Säfte, die den Verstand vernebeln oder zumindest die Zunge lösen. Danach zu streben, ist eine Schwäche, der man nicht nachgeben darf. Denn nur die Disziplin, der Ehrgeiz und die Loyalität mit den Faronen haben es unserem Volk ermöglicht, immer schneller immer weiter voranzuschreiten, sodass wir heute weit über allen anderen Zivilisationen stehen. Selbst die vergleichsweise gebildeten Klivier, mit denen wir Handel treiben, wirken neben uns wie Primitive. Weil unsere Gesellschaft funktioniert . Weil jeder seine persönlichen Bedürfnisse zugunsten der Allgemeinheit zurückzustellen weiß. Weil jeder die Rolle spielt, die ihm von klein auf zugeteilt wird.«
    Froh verstaute die fast leere Flasche wieder unter dem zunehmend trocknenden, stinkenden Sack, focht kurz mit sich selbst, während er die Paddel betrachtete, gab sich dann innerlich einen Schubs in Richtung Tapferkeitsstrand an der Reue-Insel und machte sich wieder ans Werk.
    Je mehr die Fremde sprach, desto weniger konnte er ihr folgen, geschweige denn ihr glauben, was sie erzählte, zumal er sehr erschöpft war. Außerdem verlangte Chita, von der er noch immer nicht wusste, wer oder was genau sie nun eigentlich war, von ihm, dass er in die einzig falsche Richtung paddelte, nämlich der Abendsonne entgegen. Der Gott des Meeres wäre bestimmt nicht sehr erfreut darüber, bei seinem nächtlichen Bad gestört zu werden.
    Andererseits war doch alles eine Prüfung, und diese seltsame Fremde war ein Teil dieser Prüfung. Ganz sicher hatten die Götter gewollt, dass er sie fand und vor dem Ertrinken rettete, und bestimmt lag es jetzt an ihm, zu tun, was auch immer sie verlangte. Schließlich hatten die Götter sie zu ihm geschickt. Oder ihn zu ihr.
    Wenn sie jetzt allerdings erwarteten, dass er ihre verrückte Geschichte verstand, überschätzten sie ihn. Zumindest im Moment war er einfach nur verwirrt.
    Ihre Geschichte ergab keinen Sinn, denn es gab weder Hunde, die so groß waren, dass man auf ihnen reiten konnte, noch Wände, durch die man hindurchsehen konnte. Wahrscheinlich war es eine Art Gleichnis. Eine Geschichte von der Art, wie die Alten sie hin und wieder erzählten. Sie sagten etwa: Ein Vogel flog hinaus und verlor einen Samen, und aus dem Samen erwuchs eine stachelige Pflanze, die viele Menschen verletzte. Und sie meinten damit: Ein ungestümer Kerl schlich sich in der Nacht in das Lager einer anderen Sippe und schändete eine Jungfrau, womit er eine schlimme Fehde begründete.
    Bestimmt musste Froh versuchen, das Gleichnis, das Chita vortrug, zu entschlüsseln. Vielleicht hatte es etwas mit seiner eigenen Geschichte zu tun. Ganz sicher würde es nicht einfach werden.
    Aber immerhin, dachte er, hatten die Götter ihm ein hübsches Mädchen geschickt, damit er beweisen konnte, dass er nicht dumm und schon gar nicht schlecht genug für Vulkas Unterwelt war. Es hätte wirklich schlimmer kommen können. Zum Beispiel hätten sie einen sprechenden Tintenfisch zu ihm ins Boot setzen können, der ihn für jede falsche Frage oder Antwort mit seinen Tentakeln quälte. Oder ein Feuer zu seinen Füßen entfachen, das ihn Stück für Stück verzehrte, wenn er die Rauchzeichen nicht richtig
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