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Das Los: Thriller (German Edition)

Das Los: Thriller (German Edition)

Titel: Das Los: Thriller (German Edition)
Autoren: Tibor Rode
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abzugeben gedenke!«, entgegnete Calzabigi heiter.
    »Er kann es gut gebrauchen«, ächzte der Jüngling, die Truhe vor der Brust. »Bei Gott, ganz Preußen braucht Glück.«

3
    H AMBURG , S ANTA F U
    »Nicht hier. Komm mit in mein Arbeitszimmer!«
    Henri Freihold drängelte sich an dem vor ihm stehenden Häufchen Elend vorbei und schritt voran. Seine weißen Sportschuhe quietschten auf dem Linoleumboden des Korridors, als er scharf rechts abbog. Vor der nächsten Holztür, die mit ihren schweren Beschlägen und den beiden Eisenriegeln genauso aussah wie alle anderen Türen auf dem Korridor, blieb er stehen. Aus der Tasche seiner Jogginghose beförderte er einen großen Schlüssel heraus und steckte ihn ins Schloss. Beim Öffnen gaben die Türangeln ein jaulendes Quietschen von sich, wie es täglich hundertmal durch den Gang hallte. »Hier weinen sogar die Türen!« war einer von Henris beliebten Sprüchen, wenn er die Neuankömmlinge in ihren neuen Alltag einwies.
    Henri betrat den Raum, und sein Begleiter folgte ihm mit hängendem Kopf. Mit dem Betätigen des Lichtschalters nahm die Leuchtstoffröhre, die rechts an der Wand horizontal angebracht war, flackernd ihre Arbeit auf. Es war die einzige Zelle in der gesamten Anstalt, in der keines der schlichten Betten aus grün angemalten Holzpfosten und weißen Spanplatten stand. Der Raum wirkte tatsächlich wie ein Büro, allerdings sah man ihm den Widerwillen an, mit dem er ausgestattet worden war. In der Mitte stand ein einfacher Tisch, auf dem eine alte Schreibmaschine thronte. An der rechten Wand war ein Holzbrett angebracht. Darauf türmten sich Bücher. An der gegenüberliegenden Wand befanden sich zwei weitere Regale, die ebenfalls mit Büchern vollgestopft waren. Das Mobiliar in der Anstalt musste nach Henris Verständnis zwei Voraussetzungen erfüllen: Es musste aus Holz sein, damit die Metalldetektoren auf der Suche nach Ausbruchswerkzeug und Waffen leichtes Spiel hatten. Und es musste hässlich sein. Der Staat beraubte seine Gefangenen nicht nur ihrer Freiheit, sondern auch ihres Rechts auf Ästhetik.
    Henri setzte sich hinter die Schreibmaschine und zeigte auf einen Holzstuhl vor sich. »Setz dich!«, befahl er.
    Sein Begleiter folgte der Anweisung und platzierte sich ganz vorn auf der ohnehin schon kleinen Sitzfläche.
    Verwundert blickte er sich um. »Sie haben zwei Zellen – wieso das denn?«
    Henri verzog die Mundwinkel zu einem breiten Lächeln. Er war der einzige Gefangene, der von allen anderen gesiezt wurde. Niemand in der Anstalt konnte mehr mit Sicherheit erklären, warum ihm diese Ehre zuteil wurde. Es war einfach schon immer so gewesen, und alle hielten sich an diesen Brauch. Einige behaupteten, es würde an seinem gewandten Auftreten liegen, mit dem er eher einem Anwalt als einem Strafgefangenen glich. Andere meinten zu wissen, dass der Doktortitel, den Henri trug, zum respektvollen »Sie« geführt hatte. Wenn jemand in großer Runde diese Theorie vertrat, entgegnete meistens einer der Frischlinge: »Doktor? Ich dachte, er wäre Anwalt!«, und zog sich so den Spott der anderen zu.
    Henri beugte sich vor und entnahm einer Holzkiste, die vor ihm auf dem Tisch stand, einen Zigarillo. Mit einem geübten Zungenschlag leckte er das Ende ab und fingerte sich einige Krümel Tabak aus seinem Mund. Dann entzündete er den Zigarillo mit einem Streichholz, das er anschließend auf den Boden warf und mit einer drehenden Bewegung seines rechten Fußes austrat.
    »Warum ich zwei Zellen habe? Mir erlaubt man eben ein paar Extrawürste«, entgegnete Henri und beobachtete seinen neuen Klienten.
    Der erwiderte nichts darauf, sondern nickte nur anerkennend mit zusammengepressten Lippen.
    Henri hätte ihm erklären können, worin der Grund für seine zwei Residenzen bestand. Er hatte seine Haftstrafe bereits verbüßt und war nur noch hier, weil das Gericht ihm nachträglich eine Sicherungsverwahrung aufgebrummt hatte. Wegen »der amoralischen Grundhaltung eines notorischen Betrügers«, hatte in dem Beschluss gestanden. Eine Maßnahme, die normalerweise bei Sexualstraftätern oder Mördern angeordnet wurde, nur höchst selten bei bloßen Vermögensdelikten wie Betrug. Gegenüber den harten Jungs prahlte er damit, einer der wenigen Betrüger im Lande zu sein, die für so gefährlich eingeschätzt wurden, dass man sie auch nach Verbüßung der Haftstrafe vor der Gesellschaft wegschloss. Weil er aber nun nicht mehr für seine Taten büßen musste, hatte er vor
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