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Das Löwenamulett

Das Löwenamulett

Titel: Das Löwenamulett
Autoren: Frank Schwieger
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Tischler weiß natürlich, wie die Türen, die er selbst gebaut hat, zu öffnen sind. Auch ohne Schlüssel. Dann habe ich’s einfach getan, ohne nachzudenken. Ich bin von der Straße aus über die Mauer in den Garten geklettert. Alles war still und dunkel.
    Die Tür ins Haus war kein Problem. Mein Onkel hatte mich einmal zu einem Besuch beim Senator mitgenommen, darum weiß ich, wo sein Arbeitszimmer ist. Dort, so dachte ich, würde ich schon etwas Wertvolles finden. Eine Geldschatulle, einen silbernen Kelch, Schmuck … irgendetwas, das uns helfen würde. Aber ich hatte gerade erst angefangen zu suchen, konnte in der Dunkelheit nicht gut sehen …«
    »Da hat dich der Senator überrascht«, sagte ich.
    Pacuvius nickte.
    »Er muss mich gehört haben. Vielleicht war er noch wach, ich weiß nicht. Im letzten Moment hörte ich ihn kommen, zog meine Kapuze über den Kopf und versteckte mich hinter der Tür. Er sah das Chaos im Zimmer, begann zu schreien, da warf ich mich auf ihn und hielt ihm den Mund zu. Er 134

    versuchte, sich aus meinem Griff zu lösen. Plötzlich sah ich einen Dolch in seiner Hand aufblitzen und fürchtete um mein Leben. Irgendwie schaffte ich es, ihn zu Boden zu rei-
    ßen. Er stieß mit dem Kopf gegen einen Schrank und blieb regungslos liegen. Ich dachte, er sei tot, nahm ihm den Dolch aus der Hand, als ich plötzlich ein Geräusch hörte. Im nächsten Moment durchfuhr ein brennender Schmerz meine Schulter, und ich dachte, Apollo selbst hätte mich mit einem seiner Pfeile erwischt.«
    »Das war nicht Apollon«, sagte ich, »sondern Hermes, der mit seinen Flügelschuhen durch die Luft flog und auf deiner Schulter landete.«
    Pacuvius verzog das Gesicht. »Der Gott der habgierigen Kaufleute und der schäbigen Diebe. Irgendwie passend, findet ihr nicht?«
    »Und Urbicus?«, fragte Delia.
    »Ist ein gemeiner Kerl«, sagte Pacuvius, »aber er hat mit der ganzen Geschichte nichts zu tun. Hier steht er«, Pacuvius hob beide Hände, »der wahre Übeltäter. Mich würde nur noch interessieren, wie ihr das herausgefunden habt.« Er ließ die Hände sinken. »Ihr wusstet es, als ihr hierherkamt, nicht wahr?«
    »Du trugst kein Amulett«, sagte Delia, »obwohl du ein großer Fan der Löwentruppe bist.«
    »Und deine Schulter«, sagte ich. »Sie tat dir sehr weh, als dein Onkel dir vorhin darauf klopfte. Myron hatte uns erzählt, dass er den Täter mit einem Bronzehermes an der Schulter getroffen hatte.«
    Pacuvius nickte. »Ihr seid sehr mutig, so einfach hierher-135

    zukommen, in die Höhle des …«, er zögerte und zeigte auf das Amulett in seiner Hand, »… des Löwen. Doch was habt ihr jetzt vor?«
    »Wir wollen Myron retten«, sagte ich. »Aber dafür müssen wir dich …« Ich stockte.
    Pacuvius sah mich durchdringend an. »Verraten? Auslie-fern? Ist es das, was du sagen willst?«
    Ich hob hilflos die Schultern. Was sollten wir nur tun? Im Grunde war doch Pacuvius genauso unschuldig wie Myron.
    »Die Frage sollte eher lauten«, sagte Delia, »was du jetzt vorhast.«
    Pacuvius wiegte den Kopf. »Nun, ihr seid die Einzigen, die die Wahrheit kennen. Abgesehen von mir natürlich.«
    Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Was hatte er vor? Wollte er uns …
    »Ich werde euch erzählen, was ich mache. Ich werde dieses Haus jetzt verlassen. Ohne euch.« Er steckte das Löwenamulett in den Leinenbeutel, wandte sich zum Gehen, drehte sich dann noch einmal zu uns um. »Schade, dass wir uns nicht unter anderen Umständen begegnet sind, wirklich schade.«
    Er zwang ein Lächeln auf sein Gesicht. »Lebt wohl.«
    Noch ehe wir ein Wort sagen konnten, war Pacuvius, schnell wie der Wind, aus der Werkstatt verschwunden.
    Delia und ich standen einige Atemzüge lang wie versteinert an der Werkbank. Dann blickten wir uns an. Gerade noch hatten wir gedacht, es sei um uns geschehen, und jetzt …
    »Wa… was sollen wir …?«, stammelte Delia.
    »Hinterher!«, rief ich. »Wir müssen ihn aufhalten.«
    Und schon rannten wir aus der Werkstatt, durch den Flur, 136

    hinaus auf die Ascaniusgasse. Beim Herakles, war es heiß hier draußen! In der Werkstatt war es kühl und dunkel gewesen. Die Sonne blendete uns, wir brauchten einige Augenblicke, um uns an die Helligkeit zu gewöhnen.
    »Wo ist er hin?«, rief Delia und blickte hektisch in beide Richtungen. Kein Mensch war zu sehen. Die spielenden Kinder waren verschwunden, und auch die Schemel, auf denen die beiden Alten eben noch gesessen hatten, waren
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